Paul Klee. Die Sammlung Sylvie und Jorge Helft

Mrz 15, 2023 at 15:20 640

Das Museo d’arte della Svizzera italiana (MASI) in Lugano zeigte vom 4. September 2022 bis am 8. Januar 2023 die Ausstellung Paul Klee. Die Sammlung Sylvie und Jorge Helft. Der Katalog (Amazon.de) ist nach wie vor erhältlich.

Paul Klee verstarb übrigens am 29. Juni 1940 in Muralto im Tessin, in jenem Kanton, in dem die Sammlung Helft in der oben erwähnten Schau erstmals in ihrer Gesamtheit öffentlich gezeigt wurde.

Die Sammlung Bürgi oder jene des Erfinders der Pille, Paul Djerassi, gehören zu den herausragenden Klee-Sammlungen. Jene des Ehepaars Helft ist nicht so bunt, bietet jedoch Einsichten in das Werk des Künstlers, der dem Zeichnen und insbesondere der Linie als dem Prinzip, von dem die Umsetzung und visuelle Erzeugung einer Idee ausgeht, entscheidende Bedeutung beimass. Die klare Dynamik der Linie in den in Lugano präsentierten Werken unterstreicht laut den Ausstellungsmachern, dass Paul Klee die Linie als sein wichtigstes schöpferisches Werkzeug betrachtete.

Dieser Aspekt steht also im Mittelpunkt der Sammlertätigkeit von Sylvie und Jorge Helft, die über fast fünf Jahrzehnte hinweg 73 Bleistift-, Feder- und Pastellzeichnungen, Aquarelle, Radierungen und Lithografien von Paul Klee zusammengetragen haben, die zwischen 1914 und 1940 entstanden sind. Im MASI in Lugano wurde die Sammlung Helft erstmals geschlossen präsentiert.

Carmen Giménez, Präsidentin der Fondazione Museo d’arte della Svizzera italiana, und Tobia Bezzola, Direktor des Museo d’arte della Svizzera italiana, verweisen in ihrem Vorwort zurecht darauf, dass von den über 9000 Werken, die Paul Klee im Laufe seines Lebens geschaffen hat, fast die Hälfte Zeichnungen sind. Das grafische Werk steht im Zentrum der Produktion des Künstlers, der kleinen Arbeiten auf Papier und grossformatigen Leinwänden die gleiche Bedeutung beimass. Paul Klee verstand die Zeichnung nie als Vorstufe zu einem Gemälde, sondern als eigenständiges Werk.

Giménez und Bezzola verweisen zudem auf die Bedeutung Paul Klees für die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts, da er an vielen bedeutenden Ereignissen beteiligt war, auch wenn er sich als Einzelgänger keiner Stilrichtung eindeutig zuordnen lässt. Paul Klee stellte mit der Münchner und der Berliner Secession aus und war Gründungsmitglied der Gruppe Der Blaue Reiter. Er nahm an der ersten Dada-Ausstellung der Gruppe D in Köln teil. Er wird im ersten Manifest des Surrealismus erwähnt. Und er war ein von Kollegen und Studierenden geschätzter Lehrer am Bauhaus in Weimar und Dessau, wo er neben Wassily Kandinsky wohnte.

Der Katalog/Das Buch zur Ausstellung enthält ein Gespräch von Tobia Bezzola, dem Direktor des MASI, mit den Sammlern Sylvie und Jorge Helft. Hinzu kommen Essays des Philosophen Francisco Jarauta zur Melancholie des Fragments, des Kunst- und Literaturkritikers Juan Manuel Bonet mit einem „Streifzug durch Pauls Klees Land“ und des Kunsthändlers und Kurators Achim Moeller zur Sammlung Helft.

Der Vater von Jorge Helft war Antiquitätenhändler, der Onkel Paul Rosenberg (1881-1959) war ein bedeutender Galerist und Kunstsammler, weshalb der Junge schon früh mit Kunst und Künstlern in Kontakt kam. Interessant für mich ist ein Detail aus dem Gespräch von Jorge Helft mit Tobia Bezzola: Nicht, dass sich Jorge Helft früh für das Werk von Paul Klee interesssierte, mehr noch als für jenes von Pablo Picasso, sondern dass er Matisse bis zum Alter von 25–30 Jahren weder habe verstehen noch wertschätzen können. Er habe ihn für einen «gefälligen Koloristen» gehalten. Heute begeistere Matisse ihn. So erging es auch mir.

Für den in Buenos Aires aufgewachsenen Jorge Helft war Ende der 1960er Jahre Paul Klee zu einer regelrechten Leidenschaft geworden. Mit 35 Jahren hielt er ihn für den bedeutendsten Künstler der klassischen Moderne. Dank einer Prämie der Firma, in der er 14 Jahre gearbeitet hatte, konnte Jorge Helft 1970 endlich einen Klee kaufen. Bereits fünf Jahre zuvor hatte  er begonnen, eine Sammlung zeitgenössischer argentinischer Kunst aufzubauen – nicht nur, weil es seine Wahlheimat war, sondern auch, weil es die einzige Kunst war, die er sich finanziell erlauben konnte.

Heinz Berggruen war damals laut Jorge Helft der führende Klee-Experte. Bei ihm erwarb der Sammler sein erstes Werk, Das andere Geisterzimmer (Neue Fassung) aus dem Jahr 1925 (im Katalog auf Seite 64 abgedruckt). Paul Klee greift diese Komposition in mehreren Werken auf, unter anderem im Jahr 1921 (Abb. 1 im Katalog) sowie 1925. Letzteres Werk war viele Jahre im Besitz von Jean Paulhan, dem berühmten Schriftsteller und Direktor des Verlags Gallimard.

Jorge Helft erzählt in seinem Gespräch mit Tobia Bezzola, dass er nach diesem ersten Ankauf weitere Zeichnungen von Paul Klee erwarb. Zugleich vertiefte er anhand von Recherchen sein Wissen über Klees Werk. Beim Kunsthändler Eberhard Kornfeld konnte er drei Tage lang in Bern Klees Archive, Notizbücher und Aquarelle durchsehen und die berühmtesten Berner Sammlungen besichtigen. Er verbrachte einen ganzen Tag mit Klees Sohn Felix, der ihn durch das Atelier seines Vaters führte und ihm vor allem zahlreiche Episoden aus dem Leben seiner Eltern schilderte. Eines der wichtigsten Dinge, die er, Jorge Helft, bei diesem Treffen erfahren habe, betraf die Titel von Klees Werken, und insbesondere die Tatsache, dass diese im Kreise der Familie erfunden worden waren: Abends kam der Künstler mit seinen vollendeten Arbeiten an den Esstisch, um gemeinsam mit seiner Frau Lily und seinem Sohn Felix einen passenden Titel für das jeweilige Werk zu finden. Sie sollten möglichst lustig, frech und mehrdeutig sein. Sobald sich die drei einig waren, schrieb Klee ihn auf und signierte das Werk.

Das und noch viel mehr gibt es zu entdecken in: Paul Klee. Die Sammlung Sylvie und Jorge Helft. Scheidegger & Spiess, September 2022, 212 Seiten mit zahlreichen Abbildungen in Farbe. Das Buch bestellen bei Amazon.de.

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Zitate und Teilzitate in dieser Buchkritik / Rezension von Paul Klee. Die Sammlung Sylvie und Jorge Helft sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlussszeichen gesetzt.

Buchkritik / Rezension vom 15. März 2023 um 15:20 Schweizer Zeit.