Das Raffles Hotel Vier Jahreszeiten in Hamburg

Jan 22, 2004 at 00:00 1050

Die Geschichte von 1983 bis 2004. Hotelrezension

Die Lage der Hotelchefin änderte sich schlagartig am 90. Geburtstag ihrer Mutter, Aenne Knoops. Agnes Haerlin plante gerade das bevorstehende Familienfest, als am 1. März 1983 morgens um halb neun die Steuerfahnder vom Finanzamt an der Türe ihrer Villa klingelten und einen Durchsuchungsbefehl präsentierten. Gleichzeitig fuhren zwei VW-Busse mit 15 Herren in den Hinterhof des Hotels, die einen weiteren Durchsuchungsbefehl für Büro- und Geschäftsräume vorwiesen. Der Vorwurf lautete auf Steuerhinterziehung in Millionenhöhe.

In einem wie sie glaubte unbemerkten Augenblick nahm Agnes Haerlin ein Papier an sich, dass sie danach wieder herausrücken musste. Es war der Auszug eines Kontos in der Schweiz mit einem Kontostand von zwei Millionen Mark. Die Hotelchefin behauptete allerdings ungerührt, es handle sich dabei um das Konto einer Freundin.

Gert Prantner empfahl seiner Chefin die Dienste des seiner Meinung nach besten Steueranwalts, der greifbar war, Dr. Ernst W. Heinsius, der damals seine Kanzlei am Ballindamm hatte.

Im Juni 1984 handelte Agnes Haerlin mit Direktor Prantner einen zwanzigjährigen Vertrag aus, der bis 2004 laufen sollte. Im November 1984 präsentierte sie sich in Hamburg ein letztes Mal in der Öffentlichkeit. Dann floh sie nach Salzburg, denn Österreich lieferte Steuersünder nicht aus.

Nach einem Intermezzo in einer kleinen Wohnung landete sie im Januar 1985 unter falschem Namen im Hotel „Österreichischer Hof“. Gert Prantner kannte den Direktor Herbert Prinz gut. So bezog Agnes Haerlin die Suite 414 im ersten Haus am Platz. Die Identität des Gastes wurde geheim gehalten.

Dr. Heinsius kann heute noch nicht begreifen, warum die Hotelchefin im Exil blieb und sich weigerte, nach Hamburg zurückzukommen. Er hatte ihr mehrfach im Beisein ihrer Töchter und Gert Prantner dargelegt, dass ihr keine U-Haft drohe. Doch sie blieb stur – und allein in Salzburg. Zimmerkellner Heinz feierte mit ihr Geburtstag.

1987 verurteilte das Amtsgericht Agnes Haerlin zu einer Geldstrafe von 2,4 Millionen Mark wegen Steuerverkürzung in zwei Fällen sowie zu einer Steuernachzahlung von nochmals 1,1 Millionen Mark. Nachdem die Summen überwiesen worden waren, wurde das Urteil am 27. Mai rechtskräftig. Die Hotelchefin wollte trotzdem nicht zurück nach Hamburg. Sie sei von zu vielen Leuten enttäuscht worden.

1989 entschieden sich Agnes Haerlin und ihre Töchter, das „Vier Jahreszeiten“ zu verkaufen. Zuerst einigte sich die Hotelchefin per Handschlag mit Max Grundig auf 100 Millionen Mark. Der machte später einen Rückzieher, weil nicht alle Häuser am Neuen Jungfernstieg im Verkauf eingeschlossen waren, Bankschulden bestanden und er die Ertragslage schlechter als angegeben einstufte.

Danach trat der Baulöwe Dr. Schneider als potentieller Käufer auf. Glücklicherweise legte sich Prantner quer, den Schneiders-Imperium krachte 1994 unter Milliardenschulden zusammen.

Als in Salzburg Peter Gürtler, dem bereits das „Hotel Sacher“ in Wien gehörte, den „Österreichischen Hof“ kaufte und es grundlegend umbaute, wurde nicht nur Direktor Prinz in Pension geschickt, sondern die Dauermieterin Agnes Haerlin musste auch ihre Suite räumen. Sie zog daraufhin in ein Zweifamilienhaus in Salzburg.

Im Dezember 1989 tauchte endlich ein potenter Käufer auf. Der Japaner Hiroyoshi Aoki besass nicht nur den gleichnamigen Baukonzern, sondern auch bereits eine Reihe von Luxushotels, die zu den Leading Hotels of the World gehörten. Das „Vier Jahreszeiten“ wollte er zum Flaggschiff seiner Hotelaktivitäten in Europa machen. Dafür war er bereit, phantastische 215 Millionen Mark auf den Tisch zu legen.

Für Prantner war das ein unrealistischer Preis. Auf dieser Basis sah er keine Möglichkeit mehr, mit dem Haus Geld zu verdienen, erklärte er in einem Zeitungsinterview. Doch bei einem „konspirativen“ Treffen in einem Flugzeughangar in Genf erklärte ihm der Japaner, mit dem Hotelkauf seinen Konzern auf einen Schlag bekannt zu machen. 1988 hatte er die „Westin“-Kette mit achtzig Häusern übernommen. 1989 hatte er einen „Letter of Intent“ zum Kauf der Hotels der Swiss-Hotelgruppe unterschrieben. Für die Publicity beim Kauf des „Vier Jahreszeiten“ war Aoki bereit, 65 Millionen mehr als die von einem Konkurrenten gebotenen 150 Million Mark draufzulegen.

Für Prantner bekam nun alles einen Sinn, die Zukunft des Hotels schien ihm gesichert. Er war bereit, einen Dreijahresvertrag mit Aoki zu unterschreiben, der ihn zudem zum Präsidenten der „Westin“-Gruppe Europa, zum Vorstand bei „Westin“ International und zum Beirat im Aoki-Konzern machen wollte. Der Verkauf wurde am 27. Dezember 1989 öffentlich bekannt gegeben. Die Ära-Haerlin ging nach 92 Jahren zu Ende, wobei der Abschied von der Gründerfamilie stillos organisiert wurde. Dankesworte für die Angestellten fehlten. Der Berater der Töchter hatte Aoki sogar abgeraten, Prantner als Hotelchef in seine Dienste zu übernehmen.

Agnes Haerlin verstarb 1992 in Salzburg. Gert Prantner rief im australischen Surfer’s Paradise an, um den Töchtern die traurige Nachricht mitzuteilen. Er hörte am Telefon die fröhliche Thekla ausrufen: „Anne, Mutter ist tot. Champagner!“

Unter den neuen Eigentümern war Prantner offiziell der Chef des „Vier Jahreszeiten“. Doch er flog 200 Tage im Jahr mit Aoki um die Welt und konnte sich nicht mehr richtig um „sein“ Hotel kümmern. Als im Sommer 1990 der Golfkrieg ausbrach, fiel im stark erdölabhängigen Japan der Kurs der Landeswährung. Der mit der Swissair fast schon vereinbarte Kauf der „Swiss“-Hotels fiel ins Wasser. Als die USA dem Irak den Krieg erklärten, entschieden sich die Gesellschafter, der Aufsichtsrate und der Vorstand der Aoki-Gruppe, sich aufs Kerngeschäft Bauen zu konzentrieren. Die 30 Millionen für die Renovierung des „Vier Jahreszeiten“ wurde gestrichen. Ende 1993 stieg Prantner bei Aoki aus und hatte endgültig nichts mehr mit „seinem“ Hotel zu tun.

Im „Vier Jahreszeiten“ wurde ein brutaler Sparkurs gefahren. Erfahrenes Personal wurde entlassen, am Service wurde gespart, Stammgäste blieben weg. Der Umsatz sank von 35 auf 24 Millionen Mark. Im Ranking der besten Hotels rutschte das Haus zuerst von Platz 2 auf 5, dann auf 15 und schliesslich auf Position 33 ab.

Nach diesem krisenreichen Interregnum kaufte 1997 die Raffles-Gruppe das Hotel. Ab Oktober fand es unter seinem neuen, damals 35jährigen Chef Ingo C. Peters, der 1982 im „Vier Jahreszeiten“ seine Karriere als Page begonnen hatte, zu neuem Glanz. Seit 2001 trägt das Hotel „Raffles“ im Namen, benannt nach dem Begründer von Singapur, Sir Thomas Stamford Bingley Raffles. Die Hotelgruppe betreibt weltweit eine Reihe von Häusern, darunter natürlich das legendäre Raffles Hotel in Singapur.

Unter General Manager Ingo C. Peters erhielt das „Raffles Hotel Vier Jahreszeiten“ im September 1998 ein neues Restaurant, das Doc Cheng’s. Mit seiner asiatischen Küche ist es im Gault Millau 2004 mit 15 Punkten ausgezeichnet.

Seit Dezember 2000 verfügt das Hotel im fünften und sechsten Geschoss auf 500 m2 über ein „Amrita Spa“, eine Wellness-Oase. Der Name geht auf eine Sanskrit-Legende zurück: Die Hindu-Götter suchten nach Amrita, dem Elixier, das ihnen neben Schönheit auch ewige Jugend versprach. Im „Raffles Hotel Vier Jahreszeiten“ finden sie zumindest eines, Entspannung und Erholung.

Siehe zudem die Artikel zum Vier Jahreszeiten während der Weimarer Republik, zur Nazizeit, zur Zeit von 1945 bis 1976 sowie zu Friedrich Haerlin.

Die Quelle für diesen Artikel: Ebelseder/Seufert: Vier Jahreszeiten. Das Buch bestellen bei Amazon.de, Amazon.com.

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Das Vier Jahreszeiten in Hamburg. Photo Copyright: Raffles Hotel Vier Jahreszeiten. Geschichte und Hotelrezension vom 22. Januar 2004.

Hinzugefügt am 3. März 2012: Das Vier Jahreszeiten gehört seit 2007 zur Fairmont-Hotelgruppe. Die im Januar 2008 mit der fünften Etage begonnene Renovation des Hotels wurde im September 2010 abgeschlossen.