Der Rechtsextreme Eric Zemmour in Frankreich

Jan 26, 2022 at 00:18 2069

Der einzigartige Vormarsch des Polemikers Eric Zemmour (*1958), der zu Beginn seiner Kampagne innerhalb eines Monats seinen politischen Zuspruch in Umfragen verdoppeln konnte und Marine Le Pen das Wasser abgrub, obwohl er noch nicht einmal Kandidat bei der Präsidentschaftswahl 2022 war, bewegte Frankreichs Medien. Jahrelang konnte er im Konservativen Le Figaro seine Polemiken veröffentlichen. Die traditionelle Rechte ist mit ihm und seinen Ideen vertraut. Vom Fernsehen her kennen ihn zudem viele Wähler, ein wenig so wie Donald Trump vielen in den USA als reality TV star bekannt war. Eric Zemmour ist zudem wie Trump jemand, der nicht zum politischen System gehört und sich klar dagegen positioniert.

Für einen Teil der Rechtsextremen ist Marine Le Pen mit ihrer Strategie der „Entteufelung“ (dédiabolisation) zu weich geworden. Hinzu kommt, das Eric Zemmour zu Beginn seiner Kampagne viele Nichtwähler anzuziehen vermochte. Doch wartete er zu lange mit seiner offiziellen Kandidatur zu und verlor sein Momentum. In Umfragen lag er zeitweilig auf Augenhöhe mit Marine Le Pen war, von der viele Rechtsextreme abfielen, weil sie ihr seit dem katastrophalen Präsidentschaftsduell 2017 gegen Emmanuel Macron die Präsidentschaft nicht mehr zutrauen.

Es sah so aus, als könnte es Eric Zemmour in die Stichwahl gegen Emmanuel Macron schaffen. Viele traditionelle Katholiken, Nationalisten, Konservative sehen sich vom (nicht immer ganz so) liberalen Macron nicht repräsentiert. Doch dann gewann Valérie Pécresse die Vorwahlen der Republikaner, und so wurde der Aufsteiger Zemmour nicht nur gebremst, sondern fiel sogar zurück. Pécresse gelang es, Eric Ciotti in ihrem Lager zu halten, der sich vorstellen konnte, für Zemmour im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahl zu stimmen. Der Preis dafür könnte allerdings das Innenministerium für Ciotti sein, sollte Pécresse gewählt werden, was so manche Franzosen beunruhigen dürfte.

Eric Zemmour ist Jude, da wird es schwierig, ihn als Antisemiten hinzustellen, obwohl er Pétain und das Vichy-Regime verharmlost. Er spielt klar die rechtsextreme Karte. Der Vater von Marine, Jean-Marie Le Pen, sagt über „Eric“, den er nur beim Vornamen nennt: Dieser sage, was er [Jean-Marie Le Pen] denke, nur mit einer vielen grösseren Zuhörerschaft.

Eric Zemmour eckt nicht nur in Sachen Pétain und Vichy an, auch an sein frauenfeindliches Buch Le premier sexe (Amazon.de) wird er nur ungerne erinnert. Insbesondere den jungen Frauen in Frankreich kann er allerdings nichts vormachen. In Umfragen kommt er bei dieser Wählergruppe nur auf 3%-4%, ein Unikum in Frankreich, wo das Geschlecht ansonsten bei Wahlen keine so starke Rolle mehr spielt. Mit Marine Le Pen und Valérie Pécresse haben die Frauen zudem zwei Kandidatinnen zur Auswahl, denen man Misogynie nicht vorwerfen kann.

Eric Zemmour möchte die „Einheit der Rechten“ schaffen. Doch ein Teil der Wähler von François Fillon, der Ende 2016 als grosser Favorit galt, um dann 2017 über eine Reihe von Affären zu stolpern, ist zu Präsident Macron abgewandert, ein anderer Teil findet sich bei Valérie Pécresse gut aufgehoben. Eric Zemmour kann vor allem auf ältere Männer zählen, die ziemlich rechts bzw. extrem rechts stehen. Das ist zu wenig. Eine Einheit der Rechten hat es in Frankreich ohnehin nie gegeben.

Der Polemiker konnte zwar einige Unterstützer gewinnen: Philippe De Villiers (ein antieuropäischer Souverainiste), Patrick Buisson (der Mann für’s Grobe von Sarkozy), Gilbert Collard (RN von Marine Le Pen, den Jean-Marie Le Pen einst „Gilbert Connard“, also Trottel, nannte), Jérôme Rivière (Europarlamentarier von RN, der Partei von Marine Le Pen), Guillaume Peltier (ehemaliger Vizepräsident der Republikaner LR, für die nun Pécresse ins Rennen steigt), Damien Rieu (Mitgründer von Génération identitaire). Doch das sind noch keine politischen Schwergewichte auf nationaler Ebene, sondern bestenfalls Leute, die helfen können, den Wahlkampf von Zemmour zu professionalisieren. Der grosse Preis im Lager der extremen Rechten wäre Marion Maréchal, die Nichte von Marine und Enkelin von Jean-Marie Le Pen. Doch diese hält sich noch zurück. Sie will wohl abwarten, wer im rechten Lager die besseren Chancen hat. Im Moment ist noch alles im Fluss. [27.1.2022 um 22:43: Marion Maréchal hat heute gesagt, dass sie ihre Tante Marine Le Pen nicht als Kandidatin in der Präsidentschaftswahl unterstützen werde].

Bisher hilft die Kandidatur von Eric Zemmour vor allem Valérie Pécresse, denn dadurch, dass die extreme Rechte zwischen Le Pen und Zemmour gespalten ist, sinkt die Schwelle für den Einzug in die entscheidende zweite Runde der Präsidentschaftswahlen 2022 (im Moment) auf rund 16%. Allerdings ist die Kandidatur von Zemmour für Le Pen nicht nur negativ. Im Vergleich mit dem Polemiker erscheint sie manchem Wähler nun als „moderat“.

Noch kann gar nichts vorhergesagt werden. Nur Präsident Macron scheint mit rund 25% in den Umfragen klar für die Stichwahl qualifiert zu sein. Dahinter liegen Pécresse und Le Pen mit je rund 15,5% und Zemmour mit 13% (Umfrage von Ipsos-Sopra Steria für die Zeitung Le Monde vom 14. bis 17. Januar 2022).

François Hollande in Frankreich, Donald Trump in den USA, Olaf Scholz in Deutschland haben gezeigt, dass unerwartete Wählerwanderungen, Wahlsiege von Aussenseitern möglich sind. Was heute noch als völlig unmöglich gilt, wird morgen Realität. Verrückte Allianzen wie in Italien zwischen der Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung sind möglich.

Eines ist jedoch klar, die Politik ist Frankreich in den letzten Jahren politisch nach rechts gerückt. Die Linke ist völlig zersplittert und zerstritten.

Das Interview von Zemmour in C dans l’air

In einem TV-Interview in der Sendung C dans l’air sagte Eric Zemmour am 23. Januar 2022 unter anderem, er habe Zweifel an der Wahl von Joe Biden. Allerdings habe er keine Beweise für Wahlfäschlung (die gibt es nicht). Er vewies auf die Wahlen von JFK von 1960 und George W. Bush 2000, die gestohlen worden seien. Es wäre als nicht das erste Mal, so Zemmour. In der Tat hatte bei JFK die Mafia die Hand im Spiel, bei „W“ stoppte der von den Republikanern dominierte Supreme Court in Florida mit 5:4 Stimmen die Neuauszählung. Wie auch immer: Zweifel an der Wahl von Biden gibt es nicht. Zemmour liegt falsch. Er sagte allerdings auch, Joe Biden sei der gewählte Präsident der USA. Er zweifle seine Legitimität nicht an.

In C dans l’air meinte Zemmour zudem, die NATO hätte 1989, 19990, 1991 verschwinden müssen, da ihr mit der Sowjetunion der Gegner abhanden gekommen sei. Heute diene sie der amerikanischen Rüstungsindustrie und der Unterwerfung der europäischen Länder (asservissement des pays européen). Frankreich müsse unabhängig bleiben. Er würde das Land aus der integrierten Kommandostruktur der NATO rausführen, aber nicht aus der NATO, denn er wolle verhindern, dass die Ukraine in die NATO eintrete, und dass die NATO zu einem anti-chinesischen Zusammenschluss werde.

Seit dem Eintritt in die einheitliche Kommandostruktur der NATO habe Frankreich seine Autonomie verspielt, die unter De Gaulle von der Atomwaffe bis zum Gewehr gerreicht habe. Frankreich sei abhängig geworden, so bei Drohnen. Bei den Operationen Serval und Barkhane im Sahel habe Frankreich nach einer Woche um Material bei den USA und anderen Verbündeten nachfragen müssen. Frankreich habe zwar noch einige „Muster“, aber es fehle an der Masse der Waffen. Das Miltärbudget müsse auf Euro 60-70 Milliarden erhöht werden.

Bezüglich Putins Bedrohung der Ukraine meinte Zemmour, weder die USA noch die EU würden für die Donbass-Region kämpfen. Putin regiere eines der grössten Länder der Welt, sei respektabel und müsse respektiert werden. Die westlichen Medien verbrächen die Zeit damit, Putin zu verteufeln. 1990 haben es eine implizierte Vereinbarung zwischen Gorbatschow und Bush Vater gegeben, dass die Länder des ehemals sowjetischen Machtbereichs nicht der NATO beitreten würden. Die Amerikaner hätten ihr Wort nicht gehalten. Die Politik werde durch die Geographie bestimmt. Die Russen wollten ein glacis protecteur, so wie die USA keine russischen Nuklearwaffen oder Raketen-Abwehrrakenten auf Kuba oder in Mexiko wollten. Die Amerikaner seien intelligente Imperialisten, die nicht annektierten, sondern beschützten. Die USA hätten nichts im Georgien (dem Land) zu suchen. Putins Verlangen seien legitim. Für die Ukraine schlug Zemmour eine Finnlandisierung vor. Die Krim sei seit dem 18. Jahrhundert russisch, so wie Lothringen und Korsika damals französisch geworden seien.

Zemmour setzte sich für die Unverletztlichkeit der bestehenden Grenzen ein. Er sagte, die NATO habe das Kosovo und Belgrade bombardiert, als das Kosovo von Serbien unabhängig habe werden wollen. Die Verletzung der Grenzen habe damals niemanden gekümmert.

Zemmour meinte, die Russen hätten niemals den Verlust des Hafens Sebastopol im Schwarzen Meer und die Installierung von NATO-Truppen dort hingenommen. Nicht Russland, sondern die NATO habe im Kosovo die Büchse der Pandora geöffnet.

Die Welt (Weltordnung) nach 1945 sei tot, so Zemmour. Es werde immer mehr Konflikte geben, die es zu managen gebe. Die Geopolitiker in den USA wollten sei Ende des 19. Jahrhunderts Frankreich und Deutschland von Russland trennen. Er würde als Präsident die Sanktionen gegen Russland aufheben. Er würde die Masseneinwanderung (invasion migratoire) nach Frankreich stoppen. Daher würde er den Familiennachzug und die Sozialleistungen für diese Menschen stoppen sowie das Bodenrecht (ius solidroit du sol) abschaffen. Hilfe befördere die Immigration. Zemmour will gar Überweisungen durch Western Union verbieten sowie keine Visa mehr an Afrikaner geben, auch nicht an politische Führer.

Mali sei so gross wie Europa. Das Land könnten die 5000 französischen Soldaten nicht halten. Es gebe dort nicht nur Terrorismus, sondern auf illegalen Handel, ethnische Probleme. Der Term Terrorismus sei falsch. Es handle sich um Dschihadisten, die im Namen des Islam gegen Ungläubige kämpften.

Befragt zum Umzug der französischen Botschaft nach Jerusalem wollte sich Zemmour nicht gleich festlegen, doch er meinte, jedes Land bestimme seine Hauptstadt selbst. Die Schliessung der Botschaft in Damaskus fand er falsch. Man solle Assad nicht verteufeln. Er sei gegen die Moralisierung der Politik. Frankreich habe heute weniger Einfluss. In Syrien sei die Wahl zwischen Assad und dem Kalifat gewesen.

Zemmour sagte zudem, die USA benutzten die Türkei, um Europa zu spalten, er sei kein Klimaskeptiker, De Gaulle habe recht gehabt mit einem Europa vom Atlantik bis zum Ural, die Schaffung eines europäischen sozialen Netzwerkes habe keine Priorität für ihn, er könne Ruhe bewahren, er liebe die russische Kultur, Franzosen und Russen seien zwei grosse Völker, die mehr eine, als man denke, Putin habe sich nicht in Wahlen eingemischt, vielmehr hätten die Amerikaner ihre Alliierten abgehört, Frankreich habe Gegner (adversaires), aber keine Feinde (ennemis), es gebe einen Krieg der Zivilisationen, Frankreich müsse seine Marine (puissance maritime) stärken.

Eric Zemmour verbreitet viel Unfug und viele Halbwahrheiten. Der Pseudo-Intellektuelle hat viel gelesen, aber wenig verstanden.

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Eric Zemmour: Le premier sexe, Verlag J’AI LU, 2009, 128 Seiten. Das französische Buch bestellen bei Amazon.de, Amazon.fr.

Artikel vom 26. Januar 2022 um 00:18 französischer Zeit.