Der Schlagabtausch im Bundestag von Merz und Scholz zur Ukraine

Jun 02, 2022 at 17:08 876

Am 1. Juni 2022 kam es zu einem Schlagabtausch zwischen Oppositionsführer Friedrich Merz (Union, CDU) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag, die nacheinander unter anderem zum Thema Ukraine sprachen.

Am 28. April 2022 hatte der Bundestag mit grosser Mehrheit einen Entschliessungsantrag zur humanitären und finanziellen Hilfe sowie zur Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine gebilligt. Friedrich Merz erinnerte in seiner Rede daran: „Mehr als einen Monat nach dieser gemeinsamen Entschließung im Deutschen Bundestag sind der Ukraine bis zum heutigen Tag die zugesagten Waffen nicht geliefert worden – mehr als einen Monat! Stattdessen werden von Mitgliedern Ihrer Bundesregierung, Herr Bundeskanzler, und aus Ihrer Partei heraus ständig irgendwelche Behauptungen aufgestellt, die schlicht und einfach falsch sind. So wird von einer Parlamentarischen Staatssekretärin aus dem Bundesverteidigungsministerium behauptet, es gebe da eine NATO-Vereinbarung, dass es keine schweren Waffen für die Ukraine gebe. Ihre Parteivorsitzende, Herr Bundeskanzler, sagt, auch andere Länder würden keine schweren Waffen liefern; das sei zwar keine formale Vereinbarung, aber es gebe so eine Art informelle Vereinbarung, dass diese Waffen nicht geliefert werden.“

Saskia Esken (SPD) rief dazwischen: „Habe ich nicht gesagt! ‚Keine Kampf- und Schützenpanzer‘, habe ich gesagt! Sie müssen zuhören!“

Friedrich Merz fuhr weiter: „Und Sie, Herr Bundeskanzler, reden in letzter Zeit etwas mehr als sonst. Aber Sie sagen unverändert nichts.“ Der Oppositionsführer monierte: „… unter den Staats- und Regierungschefs, den Abgeordneten in der Europäischen Union… gibt es mittlerweile nur noch Verstimmungen – vorsichtig formuliert. Es gibt Enttäuschungen über die unklare Rolle Deutschlands. Und es gibt richtig Verärgerung über Sie und Ihre Regierung. Nicht nur wir, die Opposition, sondern Abgeordnete aus Ihren Reihen, Herr Bundeskanzler, machen ihrem Ärger und ihrem Unmut über das, was hier in den letzten Tagen und Wochen geschieht, immer lauter Luft – bis hin zu der Wortmeldung einer Europaabgeordneten, der Kollegin Viola von Cramon von den Grünen, die in der letzten Woche gesagt hat, Sie brüsteten sich damit, was man bereits für die Ukraine schon alles geleistet habe; Sie würden dabei auf Absprachen verweisen mit vermeintlichen Partnern, die es überhaupt nicht gebe; ohne die Hilfe der USA wäre die Ukraine längst von Russland überrollt worden. Abschließendes Zitat: Für Deutschland bleibt jetzt nur noch Verachtung übrig. Ja, das ist nicht aus unseren Reihen, Herr Bundeskanzler. Das kommt aus Ihren Reihen, aus den Reihen Ihrer Koalition.“

Friedrich Merz erinnerte die Bundestagsabgeordneten an einen Titel in der FAZ: „Scholz ruiniert das Ansehen der deutschen Politik“. Der Oppositionsführer von der CDU zitierte danach die Zeitung: „Olaf Scholz hat immer wieder auf seinen Amtseid hingewiesen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Der Schaden, den er gerade nicht abwendet, liegt im Ansehensverlust der deutschen Politik. Reflexion
und Vorsicht – so schreibt einer der Herausgeber der FAZgelten nicht ohne Grund als Tugenden. Sie als Fassade für Zaudern zu verwenden, ist unredlich. ‚Unredlich‘, Herr Bundeskanzler! ‚Unredlich‘, so eine Auszeichnung durch eine große deutsche Tageszeitung muss man sich erst mal verdienen.“

Friedrich Merz fuhr grosses Geschütz auf: „Was verschweigen Sie uns eigentlich, Herr Bundeskanzler? Sie telefonieren 80 Minuten mit dem russischen Staatspräsidenten. Morgen kommt der Parlamentspräsident der Ukraine nach Deutschland, nach Berlin, und Sie verweigern ihm bis zu dieser Minute einen Gesprächstermin morgen.“

Friedrich Merz attackierte Kanzler Scholz mit den Worten: „Und was heißt das, wenn Sie sagen: ‚Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen‘? Was heißt das, wenn Sie sagen: ‚Die Ukraine muss fortbestehen‘? Warum sagen Sie nicht einfach und ganz klar: ‚Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen‘? Und warum sagen Sie nicht ganz klar: ‚Russland muss zumindest hinter die Kontaktlinie vom 24. Februar 2022 zurückgedrängt werden‘, so wie es viele andere Staats- und Regierungschefs auf der Welt und in Europa sagen?“

Friedrich Merz mutmasste gar: „Es ist auch nicht meine oder unsere Frage allein: Gibt es da mittlerweile eine zweite Agenda? Warum widerspricht aus Ihren Reihen, aus den Reihen der SPD niemand Ihrem Vorgänger im Amt des Ersten Bürgermeisters der Freien und Hansestadt Hamburg, Klaus von Dohnanyi, der in diesen Tagen hier in Berlin von einer Talkshow in die andere geht, Russland in Schutz nimmt, Putin verteidigt und fast ausschließlich den Vereinigten Staaten von Amerika die Schuld an diesem Krieg zuweist? Herr Bundeskanzler, was machen Sie da? Und warum stellen Sie nicht klar, was Sie für eine Meinung zu diesem Thema haben? Sie haben am 27. Februar von dieser Stelle aus eine
vielbeachtete Regierungserklärung abgegeben. Sie haben hier im Deutschen Bundestag sehr viel Zustimmung bekommen, stehenden Applaus auch von meiner Fraktion [Stephan Brandner von der AfD warf ein: ‚Von uns nicht!‘] – [Merz:] ja, das haben wir wohl zur Kenntnis genommen –, [Stephan Brandner [AfD]: Das war auch gut so!] aber, meine Damen und Herren, Sie bleiben hinter den selbstgestellten Ansprüchen dieses 27. Februar mittlerweile Tag für Tag immer weiter zurück. Sie haben an diesem Tag Klartext gesprochen. Sie haben an diesem Tag gesagt, wie Sie die Lage sehen. Seitdem
verdampft und verdunstet alles, was Sie da gesagt haben, im Unklaren, im Ungefähren, und es wird keine konkrete Entscheidung hier getroffen und hier begründet, die an dieses Niveau, an diesen Level anschließt, den Sie am 27. Februar 2022 hier selbst gesetzt haben.“

Friedrich Merz monierte zudem in seiner Rede im Bundestag: „Warum gibt es eigentlich von Ihrer Regierung, Herr Bundeskanzler, auch von Ihnen persönlich keine einzige europäische Initiative, zum Beispiel zusammen mit dem französischen Staatspräsidenten, wie man in einer solchen historischen Situation jetzt Europa voranbringt und mit anderen Mitgliedstaaten zusammen auch in der europäischen Politik klar zeigt, in welche Richtung jetzt Europa entwickelt werden soll und welche Chancen Europa auch in diesem Konflikt für die eigene bessere Integration in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik sieht? Ich will es mal so sagen: Haben Sie eigentlich außer der formalen Rhetorik irgendeinen Vorschlag, wie sich Europa in dieser historischen Phase des Umbruchs aufstellen und dauerhaft auch verteidigen kann? Gibt es irgendeinen Vorschlag aus Ihrer Regierung, Herr Bundeskanzler? Bringen Sie wenigstens Teile des Geldes, das wir jetzt in diesem Sondervermögen [Merz benutzt ebenfalls das Wort ‚Sondervermögen‘, wo es sich doch um Schulden handelt] bereitstellen wollen, in eine europäische Sicherheitsarchitektur ein, die es uns erlaubt, Schritt für Schritt hin zu einer europäischen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu kommen.“

Oppositionsführer Friedrich Merz wollte von Kanzler Scholz antworten: „In diesem Zusammenhang: Wie wird eigentlich die Bundesregierung, wie werden Sie, Herr Bundeskanzler, votieren, wenn in wenigen Tagen der nächste Europäische Rat stattfindet und auf der Tagesordnung die Frage steht, ob der Ukraine, ob Moldau und ob den Westbalkanstaaten der Kandidatenstatus für den Beitritt zur Euro-
päischen Union gegeben wird? Herr Bundeskanzler, Sie können es doch nicht der EU-Kommission überlassen, das irgendwie formal vorzubereiten. Das ist doch eine zutiefst politische Entscheidung, in der auch Führung erwartet wird, in der Klarheit erwartet wird, in der eine Meinung erwartet wird. Herr Bundeskanzler, wenn Sie es offenlassen, wenn die größte Nation der Europäischen Union in dieser Frage
unklar bleibt und keine klare Antwort gibt, dann bleibt es in ganz Europa unklar, dann wird es in ganz Europa keine Antwort geben. Also: Bitte sagen Sie, was Sie von dieser Frage halten und wie Sie das sehen, ob die Westbalkanstaaten, Moldau und die Ukraine den Kandidatenstatus bekommen sollen oder
nicht! Oder setzen Sie das fort, was Sie mit Ihrer Politik als Finanzminister schon in den letzten Jahren Ihrer Regierung getan haben, nämlich praktisch jedes Problem einfach nur mit neuem Geld zuzuschütten und ansonsten politischen Entscheidungen aus dem Wege zu gehen?“

Dazu rief Stephan Brandner von der AfD dazwischen: „Das war doch Ihre Regierung, Herr Merz! Nicht seine!“ Auch Saskia Esken von der SPD rief dazwischen: „Haben Sie gerade über Merkel gesprochen?“

Friedrich Merz fuhr fort: „Meine Damen und Herren, ich will das in Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt 2022 stellen: Sind Ihnen eigentlich die Risiken bewusst, mit denen Sie diesen
Bundeshaushalt in dieser Woche hier verabschieden wollen, und zwar ganz unabhängig von den neuen Schulden, die jetzt mit diesem Sondervermögen gemacht werden? Es könnte doch sein, Herr Bundeskanzler, dass Sie in wenigen Wochen 60 Milliarden Euro für den Klimaund Energiefonds gar nicht zur Verfügung haben, weil Ihnen das Bundesverfassungsgericht nicht erlaubt, diese Mittel aus den Coronahilfen zweckzuentfremden für Entscheidungen Ihrer Regierung, die eigentlich aus dem normalen Haushalt finanziert werden müssten. Es könnte sein, dass Sie Jahr für Jahr 10 Milliarden Euro zurückzahlen müssen an diejenigen, die Einkommensteuer und Körperschaftsteuer zahlen, weil es an Ihnen gescheitert ist, den Solidaritätszuschlag in der letzten Wahlperiode vollständig abzuschaffen. Das ist ein jährliches Risiko von 10 Milliarden Euro. Und in dem Zusammenhang: Wenn Sie sich damals
nicht aus ideologischen Gründen geweigert hätten, den Soli ganz abzuschaffen, hätten Sie heute mit diesem Instrument, das Sie selbst diskreditiert haben, ein Instrument zur Verfügung, mit dem wir wahrscheinlich die neuen Schulden für das ‚Sondervermögen Bundeswehr‘ gar nicht hätten aufnehmen müssen. Sie hätten uns nämlich den Vorschlag machen können, Herr Bundeskanzler, dass wir einen solchen Solidaritätszuschlag erheben auf die Einkommensteuer und auf die Körperschaftsteuer für die Bundeswehr. Dann wäre das von heutigen Generationen gezahlt worden – das ist eigentlich Aufgabe der heutigen Generation – und müsste nicht von der jungen Generation in einigen Jahren und Jahrzehnten mühsam abgezahlt werden. … Was sagen Sie eigentlich, Herr Bundeskanzler, der jungen Generation, dass Sie es auch mit diesem Bundeshaushalt erneut versäumen, eine Reform der Rentenversicherung vorzulegen?“

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) antwortete und war für einmal sehr angriffig, allerdings wohl nur deshalb, weil er sich nicht mehr verstecken konnte, da die Kritik aus den Reihen der Ampel-Koalition doch sehr laut geworden war. Doch einen Zeitplan für die von ihm vorgestellten Waffenlieferungen präsentierte er nicht. Kanzler Scholz sagte: „Verehrter Herr Merz, Sie haben sich mit dem Text, den
Sie vorbereitet haben, mit ihrem Manuskript, ja sehr viel Mühe gegeben. Allerdings muss man ausdrücklich sagen: Das, was Sie hier vorgetragen haben, sind lauter Fragen. Sie sind hier durch die Sache durchgetänzelt und haben nichts Konkretes gesagt. ‚More beef‘ wäre wirklich sehr vernünftig gewesen. Sie werden nicht damit durchkommen, immer nur Fragen zu stellen und sich niemals in irgendeiner Frage sinnvoll zu positionieren. Und wenn Sie es dann machen, dann wird es peinlich. – Sie insinuieren das. – Dann sagen Sie, ich soll was Gemeinsames mit dem französischen Präsidenten machen, und während Sie in Ihrer Rede das insinuiert haben, haben Sie völlig übersehen, dass das letzte Telefongespräch ein gemeinsames mit dem französischen Präsidenten war, übrigens eine europäische Aktion dieser beiden Länder, die eine wichtige Rolle für die Zukunft Europas spielen.“

Hier muss man anfügen, dass Scholz und Macron bezüglich der Ukraine keine gute Figur machen. Zurück zur Rede von Scholz, der sich zu Merz äussert: „Ganz anders, als Sie das hier darstellen, sind die anderen Länder Europas überwiegend sehr, sehr froh darüber, dass wir genau das machen, und freuen sich darüber, dass wir mit ihnen unsere Erkenntnisse austauschen, dass wir darüber reden, was gemeinsam vorzutragen ist und was wir tun wollen.“

Das ist beschönigend vom Kanzler. Insbesondere in den baltischen Staaten und in Polen, aber auch anderswo, wo man sich gegenüber Russland exponiert führt, ist man euphemistisch ausgedrückt von der Rolle des Kanzlers und der Haltung der deutschen Regierung gegenüber Putin, Russland und der Ukraine ebensowenig begeistert wie von Gas- und anderen Energieimporten Deutschlands aus Russland. Und dies seit Jahren. Nach wie vor halbherzige, löchrige Sanktionen bei SWIFT, Kohle, Öl, Gas und anderswo können Putin nicht zum Einlenken bewegen. Langfristig entwickeln zwar die heutigen Massnahmen schon eine brutale Wirkung, doch wie Börsenhändler und Historiker wissen: „In the long run, we’re all dead.“

Olaf Scholz fuhr fort mit Bemerkungen zur Rede von Friedrich Merz: „Na ja, und dann hatten Sie ja doch noch einen konkreten Vorschlag; den muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Ihr Vorschlag, den Sie heute hier im Deutschen Bundestag gemacht haben, ist, dass wir die Steuern für fast alle Bürgerinnen und Bürger über einen Soli erhöhen sollen, um die bessere Ausrüstung der Bundeswehr zu bezahlen. Was für ein merkwürdiger Einfall! Einen ganzen Bundestagswahlkampf haben Sie damit geführt, zu fordern, dass der Soli auch für die Leute, die 200 000, 300 000 und 400 000 Euro im Jahr verdienen, wegmuss, um jetzt vorzuschlagen, dass Leute, die 70 000 und 60 000 Euro im Jahr verdienen, den Soli ab nun zahlen sollen, damit dies jetzt hier finanziert werden kann. Das ist keine gute Idee.“

Olaf Scholz meinte zudem: „Wenn man über das redet, über was wir hier reden, wenn es um die Verbesserung unserer Verteidigungsanstrengungen geht, dann muss man als Oppositionsführer, der von der CDU/CSU kommt, schon sagen: Die Verteidigungsministerinnen und -minister der letzten Jahre waren in der CDU und in der CSU. Die Kanzlerin war in der CDU. Darüber hätten Sie zumindest ein Wort verlieren können, Herr Merz.“

Da landete Olaf Scholz einen guten Punkt: 16 Jahre lang Merkel und CDU- und CSU-Minister im Verteidigungsamt haben der deutschen Verteidigungsfähigkeit nicht gut getan. Doch die Position von Scholz war auch verlogen, denn er war jahrelang Teil der Regierung und seine SPD hat sich jahrelang gegen die Modernisierung der und mehr Geld für die Bundeswehr gewehrt. SPD und Union zusammen sind Schuld daran, dass die Bundeswehr trotz einem Budget von 50 Milliarden Euro (!) nicht abwehrfähig ist.

Kanzler Scholz fuhr weiter: „Die schlechte Zeit für die Bundeswehr hat begonnen, als ein presseaffiner, viel kommunizierender, selten sich in seinem Amt aufhaltender Bundesverteidigungsminister Guttenberg entschieden hat, alles Mögliche anders zu machen, ordentlich einzusparen und die Wehrpflicht abzuschaffen. Noch heute leiden wir darunter, dass all das Geld damals zusammengestrichen worden ist.“

Olaf Scholz äusserte sich zudem zur Inflation: „… Denn der Preisanstieg hat eine ganze Reihe von Ursachen, ganz vorn der von Russland angezettelte Krieg. Er heizt die Energie- und Rohstoffpreise an. Die internationalen Lieferketten sind oft noch durch die Pandemie gestört, insbesondere in Asien. Man soll sich nur einmal die Vorstellung vergegenwärtigen von den vielen Schiffen in den Containerhäfen Chinas, insbesondere in Schanghai. Natürlich haben die milliardenschweren Konjunkturpakete, die viele Länder, nicht nur wir, aufgelegt haben, dazu geführt, dass es eine höhere Nachfrage gibt, zum Beispiel nach Rohstoffen. Noch sind also diese Preissteigerungen wahrscheinlich auf solche einmaligen Schocks zurückzuführen. Aber wir müssen aufpassen, dass daraus keine dauerhafte Entwicklung mit zu hohen Inflationsraten wird. Bei allem, was wir heute und auch künftig tun, ist eins klar: Kreditfinanzierte Dauersubventionen sind keine Lösung, zumal wir nächstes Jahr die verfassungsmäßig vorgeschriebene Schuldenbremse wieder beachten werden.“

Kanzler Scholz stärkster Moment kam mit einer Aufzählung von Lieferungen Deutschlands an die Ukraine: „Die Zeitenwende ist der furchtbare imperialistische Angriff Russlands auf sein Nachbarland, das unschuldig überfallen worden ist. Wir reagieren darauf mit weitreichenden Maßnahmen. Zu diesen weitreichenden Maßnahmen zählte als Allererstes, dass wir diese Staatspraxis verändert haben – ich verstehe nicht, dass immer wieder von Ihnen vorgetragen wird, es sei nichts passiert –; allein das ist eine massive Änderung der Politik in Deutschland. Wenige Tage nach Kriegsausbruch haben wir Flugabwehrraketen und Panzerabwehrwaffen geliefert, also genau das, was zu dem Zeitpunkt am dringendsten nötig war. Dazu kommen bislang mehr als 15 Millionen Schuss Munition, 100 000 Handgranaten, über 5 000 Panzerabwehrminen, umfangreiches Sprengmaterial, Maschinengewehre, Dutzende Lastwagenladungen mit sonstigen relevanten Gütern, zum Beispiel zur Drohnenabwehr, für Mobilität, Kommunikation und zur Verpflegung und Versorgung Verwundeter. Gemeinsam mit Dänemark haben wir der Ukraine auf ihren Wunsch hin 54 modernisierte gepanzerte Truppentransporter geliefert. Über einen ersten Ringtausch mit unseren tschechischen Freunden bekommt die Ukraine vertrautes Gerät sowjetischer Bauart, zunächst 20 Kampfpanzer T-72. Wir sorgen für Ersatz für Tschechien. Weitere Gespräche laufen. Erst gestern habe ich mit dem griechischen Ministerpräsidenten Mitsotakis verabredet, dass Griechenland Schützenpanzer aus ehemaligen NVA-Beständen liefern wird und wir dafür die griechischen Bestände mit deutschen Schützenpanzern auffüllen; auch das sollte nicht vergessen und beiseitegeschoben werden. Zu unserer Unterstützung gehört auch, dass die Bundeswehr bislang 168 besonders schwer verwundete ukrainische Soldaten ausgeflogen und hier in Deutschland behandelt hat. … In der letzten Woche hat die Ukraine den Vertrag mit der Rüstungsindustrie über die Gepard-Flakpanzer unterzeichnet. Die rund dreiwöchige Schulung läuft dieser Tage an.“

Olaf Scholz führte aus: „Das will ich ausdrücklich sagen: Die wurden von der Ukraine gewünscht. Ich habe in den Talkshows dieser Republik gehört, dass gesagt wurde: Die wollen das gar nicht. Hier im Bundestag haben das auch welche erzählt. … In den kommenden Wochen werden wir der Ukraine, eng abgestimmt mit den Niederländern, zwölf der modernsten Panzerhaubitzen der Welt liefern. Die Ausbildung ukrainischer Soldaten daran wird in wenigen Tagen abgeschlossen sein. Es sind wirklich sehr moderne, sehr schwere Waffen. Abgesehen davon, dass das Abschießen von Flugzeugen mit Luftabwehrraketen auch ein schwerer Vorgang ist: Was sollen denn das für andere schwere Waffen sein als zum Beispiel der Gepard oder die Panzerhaubitze? Das ist doch einfach dahergeredetes, das sie da vortragen.“

Der Kanzler hob hervor: „In den kommenden Wochen werden wir der Ukraine auch weitere Waffen liefern. Zum Beispiel hat die Bundesregierung aktuell entschieden, dass wir mit dem System IRIS-T das modernste Flugabwehrsystem liefern, über das Deutschland verfügt. Damit versetzen wir die Ukraine in die Lage, eine ganze Großstadt vor russischen Luftangriffen zu schützen. Auch das ist eine Entscheidung dieser Bundesregierung. Ferner werden wir der Ukraine ein hochmodernes Ortungsradar liefern, das feindliche Haubitzen, Mörser und Raketenartillerie aufklärt. Auch das ist eine Entscheidung, die wir getroffen haben und die die Sicherheit der Ukraine mit modernstem Gerät sicherstellen wird. Alles, was Sie sagen, ist nicht richtig. Wir machen das, was möglich ist, mit aller Präzision.“

Der Kanzler äusserte sich zudem zu Wirtschaft, Finanzen, Haushalt.

Am 1. Juni 2022 gewann man den Eindruck, dass Olaf Scholz aus dem Tiefschlaf aufgewacht ist, in den er noch seiner guten Regierungserklärung mit wichtigen Weichenstellungen vom 27. Februar erneut gefallen war. Doch Deutschland bleibt zu passiv, während dem Diktator Putin Fakten am Boden schafft. Seine Soldaten haben einen Landkorridor von der Krim über den Donbass bis nach Russland erkämpft. Dass Putin diesen strategischen Vorteil einfach so wieder aus der Hand gibt, ist unwahrscheinlich. Deutschland, die EU, die USA, die Demokratien dieser Welt müssen zusammenstehen, Russland vollständig aus SWIFT rauswerfen, einen vollständigen Boykott von Energie aus Russland durchsetzen, schwere Waffen an die Ukraine liefern. Mit 10 Milliarden Euro aus dem „Sondervermögen“ oder an zusätzlichen Mitteln könnte Deutschland sofort Waffen in aller Welt kaufen und an die Ukraine liefern. Warum hält Scholz an der überforderten Verteidigungsministerin Lambrecht fest, die dieses Amt laut Pressemeldungen nie angestrebt hat? Entweder handelt Bundeskanzler Scholz jetzt entschieden – oder er muss weg. Die europäische Führungsmacht kann heute keinen Zögerer und Zauderer an seiner Spitze dulden, der mauert, trickst und wie einst Merkel und Kohl hofft, dass sich Probleme von selbst erledigen.

Weiterführende Lektüre: Lars Haider: Olaf Scholz — Der Weg zur Macht. Porträt. Das Buch bzw. Kindle EBook bestellen bei Amazon.de. Unsere Buchkritik.

Das Foto oben zeigt Olaf Scholz bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages am 7. Dezember 2021 zeigt. Photo: Sandro Halank, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0.

Artikel vom 2. Juni 2022 um 17:08 deutscher Zeit. Ein Teil der Rede von Scholz ging beim Kopieren „verloren“. Mea culpa! Aufdatiert um 21:08.