Die Ära Milei

Dez 01, 2024 at 20:06 101

Der argentinische Präsident Javier Milei (*1970 im in Buenos Aires) mischt nach Jahrzehnten der weitgehenden Dominanz des peronistischen Denkens sein südamerikanisches Land mit liberalen und libertären Ideen auf. Ende 2023, in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl, schaffte Javier Milei mit 55,65% der Stimmen die Überraschung. Der Mitte-Links-Kandidat Sergio Massa kam lediglich auf 44,35%. Eine Mehrheit der Argentinier hatte genug von der peronistischen Vetternwirtschaft, Korruption, Misswirtschaft, Inflation und war bereit für einen neuen Weg. Allerdings hat Javier Milei keine Mehrheit im Parlament.

Zu diesem erschien das Buch von Philipp Bagus, VWL-Professor (der Österreichischen Schule) an der Universidad Rey Juan Carlos in Madrid: Die Ära Milei: Argentiniens neuer Weg. Mit einem Vorwort von Javier Milei. Langen-Müller Verlag, LMV, 2024, 264 Seiten. Cookies akzeptieren – wir erhalten eine Kommission bei gleichem Preis – und bestellen bei Amazon.de.

Wie Javier Milei zum Anarchokapitalist wurde

Javier Milei erklärt im Vorwort des Buches von Philipp Bagus, dass im normalen Universitätsbetrieb in Argentinien die Österreichische Schule (der Wirtschaftswissenschaft) kaum vorkomme. Seine Ausbildung sei im Wesentlichen von der sogenannte postkeynesianischen oder spätkeynesianischen Schule geprägt gewesen, einem Zweig des Keynesianismus, den Javier Milei als quasi-marxistisch bezeichnet. Im Zuge seiner Ausbildung sei er mit vielen schlechten Ideen kontaminiert worden, darunter die Thesen, dass staatliche Interventionen und Regulierungen notwendig und Unternehmer Schurken seien, dass die Inflation multikausal sei, jedoch nicht durch das Ausweiten der Geldmenge zustande komme. In diesem geistigen Milieu, in dem liberale Ökonomen nicht einmal erwähnt würden, sei er ausgebildet worden.

Die Probleme mit diesen schlechten Ideen seien ihm 2014 bewusst geworden, als er erstmals eingeladen wurde, auf dem Weltwirtschaftsforum WEF einen Vortrag zuhalten. Er sollte über Demografie und Wachstum sprechen. Zu diesem Zweck habe er die Forschung von Angus Maddison studiert, der aus einer Jahrtausendperspektive auf das Wirtschaftswachstum schaute und das Pro-Kopf-BIP vom Jahr Null der christlichen Ära bis zum Jahr 2000 hochrechnete. Das Pro-Kopf-BIP vom Jahr Null bis zum Jahr 1800 blieb praktisch konstant. Nur im 16. Jahrhundert, kurz nach der Entdeckung Amerikas, stieg es ein wenig an.

Javier Milei schreibt, dass 3500 Jahre brauchte, bis sich das Pro-Kopf-BIP verdoppelte. Das änderte sich radikal mit der Industriellen Revolution im 19. Jahrhundert. Plötzlich stieg dieWachstumsrate um das 33-Fache auf 0,66 Prozent – bei gleichzeitig rasantem Bevölkerungswachstum. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stieg laut Javier Milei das Wirtschaftswachstumauf 1,1 Prozent. In der zweiten Hälfte auf 2,1 Prozent. In den letzten 200 Jahren dieser Wachstumsreihe habe sich sehr viel mehr getan als in den ersten 1800 Jahren, in denen das Wachstum insgesamt 40 Prozent betrug. Im zweiten Abschnitt habe sich das Pro-Kopf-BIP verneunfacht. Gleichzeitig habe die Bevölkerung um das Achtfache zugenommen. Das BIP der Welt habe sich in den letzten 200 Jahren um das 72-Fache erhöht.

Diese Geschichte des Fortschritts sei ein großes Problem für die neoklassische Wirtschaftstheorie, so Javier Milei. Denn wenn man mit neoklassischen Instrumenten arbeite, gehe man von konstanten Skalenerträgen oder abnehmenden Grenzerträgen aus. In der neoklassischen Theorie gebe es steigende Erträge durch Marktkonzentration. Der Extremfall sei das Monopol. Aber Marktkonzentration impliziere aus Sicht der Pareto-Effizienz etwas Schlechtes, auch für die Wohlfahrt breiter Bevölkerungsschichten. Es stellt sich die Frage: Wie kann etwas, das den Anteil von extremer Armut in der Weltbevölkerung von 95 Prozent auf etwa 10 Prozent gesenkt habe, aus Sicht der Wirtschaftstheorie etwas Schlechtes sein?

Javier Milei fand Antworten danke einem ehemaligen, sehr guten Studenten der mathematischen Ökonomie, der Autoren der Österreichischen Schule las und ihm einen 140-seitigen Aufsatz von Murray Newton Rothbard mit dem Titel Monopoly and Competition gab. Javier Milei kam nach der Lektüre zum Schluss, dass alles, was er über Marktstrukturen gelehrt habee, völlig falsch sei .25 Jahre lang habe er Marktstrukturen falsch gelehrt.

Im Vorwort führt Javier Milei aus, dass der ehemalige Student ihm eine Buchhandlung empfahl, die Bücher des Verlags Unión Editorial verkaufte. Dort kaufte er noch an diesem Tag etwa 20 Bücher. Mehr Geld hatte Javier Milei nicht dabei. Unter den gekauften Büchern war Man, Economy, and State von Rothbard sowie der Fortsetzungsband Power and Market, in dem Rothbard den Anarchokapitalismus begründet. Javier Milei fragte den Besitzer der Buchhandlung, ob er am nächsten Tag geöffnet habe. Dieser bejahte. Javier Milei rechnete aus, wie viel er zum Essen, fürs Taxi und die Fahrten zur Arbeit brauchte und gab das ganze restliche Geld für weitere Bücher aus. In diesen zwei Tagen müsse er um die 50 Bücher gekauft haben.

So habe er begonnen, die Autoren der Österreichischen Schule zu lesen, darunter das Buch Human Action von Ludwig von Mises. Javier Milei las vom selben Autor zudem Die Gemeinwirtschaft, Die Theorie des Geldes und der Umlaufmittel sowie Die Wurzeln des Antikapitalismus. Er ergänzte seine Mises-Lektüre mit Huerta de Sotos Vorträgen auf YouTube, begann an liberalen Treffen teilzunehmen und las Werke von Hayek, darunter Preise und Produktion, Der Weg zur Knechtschaft, ein Werk, das er oft zitiere, sowie den Aufsatz Der Atavismus der sozialen Gerechtigkeit.

Javier Milei unterstreicht in seinem Vorwort, dass er durch die Lektüre Rothbards unweigerlich zum Anarchokapitalisten geworden sei. Sobald er angefangen habe Rothbard, Jesús Huerta de Soto, Walter Block und Hans-Hermann Hoppe zu lesen, sei das eine Einbahnstrasse gewesen, er habe nicht mehr zurück gekonnt.

Während jener Zeit stieg die argentinische Inflation immer weiter. Er begann, an Fernsehsendungen teilzunehmen und die Ideen der Freiheit zu verteidigen. Javier Milei notiert, dass er mit Leuten debattierte, die alle den Staat und den Sozialismus verteidigten. Sie redeten einfach über ihn hinweg. So sei er gezwungen gewesen, die Stimme zu erheben, um die Argumentation voranzubringen. Daraufhin beschuldigten sie ihn, in Fernsehdebatten zu schreien. Durch diese titanischen Schlachten im Fernsehen habe er an Popularität gewonnen. Als die Covid-Pandemie kam, war es, als würde es in der Gesellschaft »klick« machen. Im Lockdown sei es zu einer Neubewertung der Ideen der Freiheit gekommen. Viele seiner Anhänger seien junge Leute.

Dieser Kulturkampf, den er im Fernsehen, Radio und mittels Vorträgen führte, geriet jedoch in Gefahr, als ihm offen mit Zensur gedroht wurde. Javier Milei notiert, dass er und seine Schwester Karina (el Jefe) erkannten, dass die einzige Möglichkeit, die Dinge zu verändern, darin bestand, sich politisch zu engagieren und den Staat von innen heraus zu bekämpfen.

Javier Milei unterstreicht, dass nicht alle ihn unterschätzten. Dr. Patricia Bullrich, mit der er später bei der Präsidentschaftswahl konkurrierte und die heute als seine Ministerin für Innere Sicherheit die Verbrecher in die Knie zwinge, habe gesagt: »Wir sollten ihn ernster nehmen. Dass jemand vor 20 000 Menschen über Hayek spricht, das ist nicht normal.« Offensichtlich sei etwas im Gange gewesen.

Der Werdegang von Javier Milei laut Philipp Bagus

Philipp Bagus unterstreicht, dass Javier Milei nicht der erste liberale Reformer ist. Er verweist auf Gerhard Schröder, der mit seiner Agenda 2010 erfolgreich den deutschen Arbeitsmarkt reformiert habe. Allerdings nicht, um ein Wahlversprechen einzulösen, sondern weil er laut dem Autor nicht anders konnte. Die libertären (warum nicht liberalen?) Reformen eines Ludwig Erhard, die Währungsreform und die Einführung der Marktwirtschaft seien eine Schocktherapie gewesen. Doch Ludwig Erhard habe dafür nicht in einem Wahlkampf Werbung gemacht, sondern die Gunst der Stunde genutzt, um das durchzusetzen, was er für richtig hielt (mit Unterstützung der Besatzungsmacht USA, hätte er hier noch einfügen können). Für Philipp Bagus liegt das Erstaunliche der Milei-Reformen nicht darin, dass er noch radikalere Reformen als Erhard vorschlägt, sondern das Einzigartige sei, dass er diese Reformen im Wahlkampf angekündigt habe und dafür gewählt worden sei.

Die Mutter ist Hausfrau, der Vater Busfahrer. Oft arbeiten sie an Feiertagen, vermitteln ihren Kindern den Wert von harter Arbeit, Anstrengung und Sparsamkeit. Der Vater kauft einen eigenen ersten Bus. Als die Tochter Karina geboren wird, kauft er den zweiten und wird erfolgreicher Unternehmer.

Seine erste grosse Inflation erlebt Javier Milei 1982. Sie schüttelt die Lebensverhältnisse durcheinander. Dem aufmerksamen Jungen sei schnell klar geworden: Dollar, Inflation,Wirtschaft beeinflussen den Lebensstandard. Um die Zusammenhänge zu verstehen, habe er im zarten Alter von 11 Jahren beschlossen, Ökonomie zu studieren. Politik habe ihn hingegen nicht interessiert.

Milei spielt Fussball. Ist Torwart in einer Profi-Mannschaft in einer unteren Division. Daneben singt er in einer Rockband und studiert. Während der Hyperinflation unter Präsident Raúl Alfonsín im Juni 1989 beobachtet er im Supermarkt trotz höherer Preise eine höhere Nachfrage. Das habe gar nicht zu dem gepasst, was er im Studium hörte. Irgendetwas stimmte nicht. Javier Milei hängte die Torwarthandschuhe an den Nagel, um sich intensiver seinem Ökonomiestudium zu widmen. Mit 20 Jahren veröffentlicht er seinen ersten Artikel zu einem Thema, das ihn bis heute nicht loslasse: Hyperinflation.

Philipp Bagus unterstreicht, dass Javier Milei es im Studium mit der Neoklassik zu tun bekam. Politisch ordnete er sich als Postkeynesianer damals links der Mitte ein. Er gab seinen Kommilitonen bezahlten Nachhilfeunterricht. 1993 schloss er sein Studium mit einer der besten Abschlussnoten seines Jahrgangs ab: 9,43 von 10. Nach seinem Ökonomiestudium an der Universität von Belgrano belegte er einen Master in Wirtschaftstheorie am Instituto de Desarrollo Económico y Social (IDES). Er war Assistenzprofessor und ab 2000 lehrte er Mikroökonomik, Makroökonomik, Wachstumstheorie, Geldtheorie, Finanzwirtschaft und Mathematik für Wirtschaftswissenschaftler an der Universidad de Buenos Aires und an der Universidad Argentina de la Empresa. Zudem übernahm er Beraterjobs, arbeitete als Ökonom für HSBC und Administradoras de Fondos de Jubilaciones y Pensiones (AFJP), Fondsgesellschaften im argentinischen Rentensystem. Danach wurde er Chefökonom bei Estudio Broda, einer Unternehmensberatung. Als Javier Milei seinen zweiten Master in Ökonomie an der Universidad Torcuota di Tella machte, schwörte er laut Philipp Bagus dem Keynesianismus ab und wurde orthodoxer Neoklassiker.

Nach einem Joblust bleib ihm einmal nur das Geld der Abfindung, das er in erster Linie für seinen Hund brauchte, einen Mastiff, während dem er von einer Pizza am Tag lebte, sich vernachlässigte und schliesslich 120 Kilo wog. Unten angekommen hielten laut Philipp Bagus nur sein Hund Conan und seine Schwester Karina bedingungslos zu ihm.

Er raffte sich wieder auf, bekam eine neue Anstellung bei Corporación América, einem Unternehmen von Eduardo Eurnekian, einem der reichsten Unternehmer Argentiniens. Von dort gelang ihm der Sprung in die Medien. Ab 2012 schrieb er Zeitungskolumnen. 2014 begann sein kometenhafter Aufstieg in den Medien. In diesem Jahr veröffentlichte er mit Diego Giacomini und Federico Ferrelli sein erstes Buch für ein breites Publikum mit dem Titel Politica Económica Contrarreloj (Wirtschaftspolitik im Wettlauf mit der Zeit). Sein erster noch schüchterner Auftritt im Fernsehen folgte am 28. April 2015. Er verteidigte die Ideen der Freiheit. Wenn jemand keine Ahnung hatte, sagt er gerade heraus: »Esel«.

Die Auftritte von Javier Milei haben Unterhaltungswert, erzielen hohe Einschaltquoten. 2018 kam er auf der Liste der 100 einflussreichsten Argentinier auf Platz 43. Er war mit riesigem Abstand der am meisten interviewte Volkswirt im argentinischen Fernsehen und ein Star in den Sozialen Netzwerken.

Im Zuge der Finanzkrise 2008 las er erneut die Ökonomen John Maynard Keynes und Milton Friedman. Laut Philipp Bagus intensivierte sich sein Interesse an der Wachstumstheorie. Er las Adam Smith, Paul Romer, Robert Lucas, Robert Solow, Robert Barro, Xavier Sala i Martín, Phillippe Aghion und Peater Howitt. Doch gänzlich befriedigen konnte ihn diese Lektüre nicht. Die Monopoltheorie der Neoklassik implizierte, Grossunternehmen seien schlecht. Dabei seien es Grossunternehmen gewesen, die in der industriellen Revolution durch ihre Massenproduktion Millionen von Menschen aus der Armut gehoben haben. Milei sei frustriert gewesen. Er habe als Post-Keynesianer begonnen, sei dann Neokeynesianer und Neoklassiker geworden und hatte sich auf die Theorie des Wirtschaftswachstums spezialisiert. Ein Artikel von Murray Rothbard änderte alles. Es war ein Kapitel aus Murray Rothbards Abhandlung Man, Economy and State. Es folgte die eingangs erwähnte Lektüre der Werke der Österreichischen Schule, durch die Javier Milei liberal-libertär wurde.

Der jahrzehntelange Abstieg Argentiniens

Dies sind nur einige Ausschnitte aus dem Beginn des Buches. Lesenswert sind danach zum Beispiel Angaben zur wirtschaftlichen Entwicklung Argentiniens. Laut Daten der Weltbank lebten im September 2023 40,1 Prozent der Argentinier in Armut, weitere 9,1 Prozent in extremer Armut. Die Inflation beschleunigte sich im Laufe des Jahres 2023 und lag im Oktober bei 143 Prozent. Um die Wiederwahl zu sichern und Stimmen zu kaufen, hatte die argentinische Regierung die Basisgeldmenge auf 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erhöht und innerhalb eines Jahres die Geldbasis versechsfacht. Das Land stürzte auf eine Hyperinflation zu. Zum Amtsantritt von Javier Milei im Dezember 2023 stiegen die Preise auf 25,5 Prozent gegenüber dem Vormonat. Annualisiert waren das 211 Prozent.

Philipp Bagus unterstreicht, dass Argentinien Ende des 19. Jahrhunderts eines der reichsten Länder der Welt war. Auf die liberale Verfassung von 1853 folgte ab 1860 ein rasantes Wachstum, die argentinische Belle Epoque. Zusammen mit den USA, Kanada, Grossbritannien und Australien führte Argentinien damals das Ranking der reichsten Länder der Welt an.

1910 machte das BIP von Argentinien die Hälfte des lateinamerikanischen aus. Vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs war Argentinien, gemessen am Pro-Kopf-Einkommen, noch immer eines der reichsten Länder der Welt, noch vor Deutschland und Frankreich. Die argentinischen Löhne waren höher als die europäischen. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs war Argentinien zudem dank der Landwirtschaft ein Aussenhandelsriese. Die Summe von Exporten und Importen (vor allem Industrieprodukte) belief sich auf über 100 Prozent des BIP. In den letzten Jahrzehnten lag diese Summe nur noch bei 20% bis 30%. Noch bis in die 1920er-Jahre hinein stand Argentinien vorne auf der Liste der reichsten Länder. Noch 1962 lag das Land beim Pro-Kopf-Einkommen vor Ländern wie Österreich, Italien, Japan oder Spanien. Heute kommt Argentinien nur noch auf 40 Prozent des Pro-Kopf-Einkommens der 12 europäischen Kernländer; ein schleichender, relativer Abfall von 60 Prozent, notiert Philipp Bagus.

Der Autor unterstreicht, dass der Niedergang Argentiniens in den 1930er-Jahren mit der Weltwirtschaftskrise begann. Zunächst langsam. Als Handelsnation war das Land stark vom Einbruch des Welthandels und dem aufkommenden Protektionismus betroffen. Ende der 1920er-Jahre begann zudem die Einführung des Fürsorgestaats. 1930 kam es zu einem faschistischen Staatsstreich durch das Militär. Argentinien begannt mit Autarkiebestrebungen. Importsubstitution setzte ein. Die eigene Industrie wurde auf Kosten der Landwirtschaft subventioniert. Die Staatsausgaben stiegen rasant. 1935 wurde die Argentinische Zentralbank gegründet und der Goldstandard beendet, um der Aufwertung des Pesos, bedingt durch das aus Europa nach Argentinien fliessende Kapital, entgegenzuwirken und die Exporte zu fördern.

Philipp Bagus notiert, dass 1943 ein erneuter Staatsstreich folgte. Der junge Militär Juan Domingo Perón wurde Arbeitsminister und implementierte eine kollektivistische Agenda. Bei den folgenden Wahlen 1946 wählten die Argentinier Perón mit grosser Mehrheit zum Präsidenten.

Juan Domingo Perón war 1939 nach Italien entsandt worden. Von dort schrieb er lobend über das faschistische Italien: Ordnung, Disziplin, Patriotismus und Arbeitsmoral. Für bedeutete Faschismus: »Alles im Staate, nichts ausserhalb des Staates, nichts gegen den Staat.« Und: »Der Liberalismus leugnete den Staat im Interesse des Individuums; der Faschismus bejaht wieder den Staat als das wahre Wesen des Individuums … Für den Faschisten befindet sich alles innerhalb des Staates und nichts Menschliches oder Geistiges existiert – oder besitzt irgendeinen Wert – außerhalb des Staates. In diesem Sinne ist der Faschismus totalitär und der faschistische Staat, als Zusammenfassung und Einheit aller Werte, deutet, entwickelt und beherrscht das ganze Leben des Volkes.«

Philipp Bagus notiert, dass für Perón Mussolini ein grosser Staatsmann und ein Vorbild war. Auch von Hitlers Kollektivismus sei Perón angetan gewesen. Perón bewunderte die moralischen Werte des Natinalsozialismus. Die drei Grundprinzipien des Peronismus seien politische Souveränität, wirtschaftliche Unabhängigkeit und soziale Gerechtigkeit. In anderen Worten: Nationalismus, Autarkie und Umverteilung. Der Staat ist der soziale Gleichmacher, der, gestützt auf Gewerkschaften und soziale Bewegungen, kollektive Handlungen normiert. Der Peronismus ist eine populistische Ideologie, die sich heute quer durch alle traditionellen argentinischenParteien zieht. Er will den Kapitalismus ersetzen, auf den die liberale Verfassung von Juan Bautista Alberdi(1810–1884) und José Benjamín Gorostiaga (1823–1891)aus dem Jahr 1853 gebaut und der den kometenhaften Aufstieg Argentiniens ermöglicht hatte.

Protektionismus, Vettern- und Günstlingswirtschaft breiteten sich aus. Es sei vor allem das Konzept der »sozialen Gerechtigkeit« gewesen, das Argentinien von seinem Erfolgskurs abbrachte und in den Abgrund führte. Nicht umsonst habe Javier Milei dieses Konzept so hartnäckig kritisiert, notiert Philipp Bagus, der die peronistische Vetternwirtschaft, Korruption, Misswirtschaft, Inflation bis zur Wahl von Javier Milei beschreibt, inklusive des Kirchnerismus der letzten 20 Jahre.

2023 lag Argentinien beim kaufkraftbereinigten Pro-Kopf-Einkommen hinter Russland und Bulgarien auf Platz 65. Während vor hundert Jahren Argentinien ein Einwanderungsland war, ist es heute umgekehrt. Allein in Spanien leben mehr als eine halbe Million Argentinier. Philipp Bagus notiert, dass Argentinien zwei Hyperinflationen ohne Krieg erlebte, der Peso 13 Nullen verlor. 50 Prozent der Argentinier leben in Armut, 10 Prozent in extremer Armut, 60 Prozent der Kinder müssen mit einer Mahlzeit am Tag auskommen. Beim Korruptionsindex landet Argentinien auf Rang 98, auf einem Niveau mit Äthiopien, Albanien und Weissrussland. Beim Index der wirtschaftlichen Freiheit, erhoben von der US-ame-rikanischen Heritage Foundation, kam Argentinien im Jahr 2022 auf den Rang 144 von 177 Ländern und lag damit zwischen den Komoren und Haiti.

Die argentinische Zentralbank zahlte im Dezember 2023 annualisierte Zinsen in Höhe von 133 Prozent. Um diese Zinsen zu zahlen, druckte die Zentralbank neues Geld. Monatlich waren das, nur um die Zinsen zu bezahlen, 30 Prozent der Geldbasis, so Philipp Bagus.

Nicht viel zu Javier Milei und der extremen Rechten

Bezüglich der extremen Rechten in Spanien (Vox) und Javier Milei findet sich bei Philipp Bagus nur eine Fussnote bezüglich Viva24, einem Treffen internationaler rechter Politiker, organisiert durch die spanische Partei Vox, bei der Milei bereits 2022 sprach und deren Vorsitzender Santiago Abascal ein Freund Mileis ist. Philipp Bagus notiert dort zudem, dass Javier Milei am 19. Mai 2024 bei Viva24 auftrat und von den 15 000 Teilnehmern für seine freiheitliche Rede gefeiert wurde. Während Mileis Rede verliess die französische Politikerin Marine Le Pen aus Protest den Saal. Le Pen sei zu sozialistisch und lasse sich nicht von den freiheitlichen Ideen Mileis überzeugen. Das die spanische Vox zumindest in Teilen (wie die AfD in Deutschland) rechtsextrem ist, scheint Philipp Bagus hingegen nicht zu stören.

Javier Milei wiederum war der erste Staatsmann, der Donald Trump zum erneuten Einzug ins Weisse Haus gratulierte. Trump wiederum ist ein Protektionist und ein Freund von Viktor Orban, der von der illiberalen Demokratie faselt und ein korruptes Regime etabliert hat, das mit Liberalismus oder libertären Ideen nichts am Hut hat. Kurzum: Da passt vieles nicht zusammen. Philipp Bagus erwähnt denn auch in seinem Buch, dass die Unterschiede zwischen dem Interventionisten Trump und dem Libertären Milei gewaltig sind.

Philipp Bagus schreibt, dass Javier Mileis Wegweiser Huerta de Soto, Rothbard und Hoppe heissen, ihres Zeichens Anarchokapitalisten. Doch der Autor kommt zum Schluss, obzwar philosophisch und theoretisch ein Anarchokapitalist, finde sich Milei in der Praxis mit all ihren Zwängen und Widerständen mit einem Minimalstaat ab. Daher die Bezeichnung liberal-libertär. Milei möchte Steuern reduzieren und beseitigen. Er möchte alles, was geht, privatisieren. Er will freien Währungswettbewerb und die Zentralbank abschaffen. Er möchte Staatsausgaben kürzen und deregulieren. Sein Ziel ist Freihandel. Aber die Realität komme mit Restriktionen. Milei sei sich daher bewusst, dass selbst das Ziel des Minimalstaats nicht so schnell zu erreichen sei. Er müsse Kompromisse eingehen. Der Sozialstaat werde nicht von heute auf morgen abgeschafft. Selbst Friedrich A. von Hayek und Milton Friedman sprachen sich für eine Mindestsozialhilfe aus. Auch Milei könne die Sozialhilfe nicht unmittelbar privatisieren. Ebenso setze er im Bildungsbereich zunächst auf staatliche Bildungsgutscheine, die von Friedman ins Spiel gebracht worden waren.

Philipp Bagus findet zur Definition, Javier Milei sei ein philosophischer Anarchokapitalist und praktischer Minimalstaatler, der sich dem Kulturkampf gegen die Linken verschrieben habe und die unterdrückte Bevölkerung direkt anspreche, unter Umgehung des von ihm verachteten Establishments.

Die Ära Milei: Argentiniens neuer Weg ist lesenswert, auch für Leser, die dem Ordoliberalismus näher stehen und von Monopolen nichts halten. Nebenbei bemerkt, Herr Bagus: Familie und Religion bildeteten bei Mussolini zwei der Grundpfeiler des Faschismus: Gott, Familie, Vaterland (Milei pflegt u.a. den Kontakt zu Donald Trump, Jair Bolsonaro und Italiens Giorgia Meloni).

Dies und noch viel mehr – so zum Kulturkampf, zu Mileis Libertarismus oder ein Nachwort des u.a. gegen die EU wetternden Markus Krall zu Reformen in Deutschland – findet sich in Philipp Bagus: Die Ära Milei: Argentiniens neuer Weg. Mit einem Vorwort von Javier Milei. Langen-Müller Verlag, LMV, 2024, 264 Seiten. Cookies akzeptieren – wir erhalten eine Kommission bei gleichem Preis – und bestellen bei Amazon.de.

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Zitate und Teilzitate in dieser Buchkritik/Rezension von Die Ära Milei: Argentiniens neuer Weg sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlussszeichen gesetzt.

Buchkritik/Rezension von Die Ära Milei vom 1. Dezember 2024 um 20:06.