Rezension von Das Monopol im 21. Jahrhundert

Feb 16, 2023 at 09:28 1011

Der Volkswirt und Wirtschaftsjournalist Hans-Jürgen Jakobs (*1956) schreibt in Das Monopol im 21. Jahrhundert. Wie private Unternehmen und staatliche Konzerne unseren Wohlstand zerstören (Amazon.de), dass Konzerne und Staaten mit übergrosser Marktmacht tief in unser Leben eingreifen. Monopole in den Bereichen Rohstoffe, Kapital, Energie, Nahrungsmittel und Daten bedrohen den Wettbewerb, was zu weniger Innovation, höheren Preise sowie wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeiten führt. Das Monopol im 21. Jahrhundert bedroht unseren Wohlstand und unsere Freiheit.

Das Monopol, Monopolisten, Monopolismus

Hans-Jürgen Jakobs schreibt zu Beginn, dass er den Begriff »Monopol« nicht strikt als Synonym für »Alleinanbieter« verwendet, sondern für Unternehmen, die sich extrem hoher Marktanteile erfreuen und somit eine bestimmende Wirkung (unter uns: Marktmacht) haben. Davon sei auszugehen, wenn ein Konzern rund 40 Prozent eines Marktes beherrsche oder drei Konzerne (unter uns: Oligopole) auf 60 Prozent kämen.

Berichte über Monopole und Monopolisten sind keine Gruselgeschichten aus dem 19. Jahrhundert. Sie existieren im 21. Jahrhundert. Die Lage ist laut unserem Autor so ernst, dass US-Präsident Joe Biden sich gezwungen sah, im Sommer 2021 öffentlich zu erklären: »Kapitalismus ohne Wettbewerb ist kein Kapitalismus, sondern Ausbeutung.«

Hans-Jürgen Jakobs schreibt von einem neuen Narrativ der Erfolgreichen im Digitalzeitalter, von einem Ismus, der nicht mehr Sozialismus oder Kapitalismus, sondern Monopolismus heisst. Sein Motto: Wettbewerb ist etwas für »Verlierer«, für Ewiggestrige, für die Kleingeister der Vor-Fortschrittswelt, für die Verzagten aus der Vergangenheit. Und die sei geprägt gewesen vom Analogen und vom Glauben an Pluralismus und lebendige Konkurrenz.

Weiter hinten im Buch nimmt sich Hans-Jürgen Jakobs Vertreter der Chicago School vor, die behaupteten, sogar einige Dinge, die von klassischen Wettbewerbstheoretikern strikt abgelehnt werden, würden niemals das Konsumentenglück schmälern, darunter ruinöser Wett-bewerb durch Dumpingpreise, vertikale Integration von vor- oder nachgelagerten Geschäften durch eine Firma oder aber Kopplungsvereinbarungen, bei denen ein Abnehmer vom Verkäufer auch noch andere Sachen als das Hauptprodukt kaufen muss. Als Als Star-Anwender dieser Ideologie der Chicago School könne man den in Deutschland geborenen Peter Thiel bezeichnen, einen der umtriebigsten Investoren im Silicon Valley (Paypal, Palantir, Facebook, SpaceX, etc.).

Peter Thiel schrieb 2014 in seinem (englischen) Buch Zero to One: Notes on Startups, or How to Build the Future (Amazon.de, Amazon.com) von seiner Abneigung gegen Wettbewerb, seinem Faible für Monopole. Die Vereinigten Staaten würden den Wettbewerb zum »Mythos erheben«, doch in Wahrheit sei »Kapitalismus das Gegenteil von Wettbewerb«. Die bizarre Begründung von Peter Thiel: »Kapitalismus basiert auf der Akkumulation von Kapital, doch im perfekten Wettbewerb fallen sämtliche Gewinne dem Konkurrenzkampf zum Opfer.« Nur in einer statischen Welt hätten Monopole zu Recht einen schlechten Ruf, in einer dynamischen Welt aber – wie im Internet-Kapitalismus – böten »kreative Monopolisten ihren Kunden mehr und neue Optionen, indem sie neue Kategorien schaffen«. Sie seien die wahren Motoren des Fortschritts. »Monopolisten können es sich leisten, an andere Dinge zu denken als an Geld.« In einem vollkommenen Markt (mit Wettbewerb) könnten Unternehmer nicht langfristig denken, so Peter Thiel.

Hans-Jürgen Jakobs meint dazu, Peter Thiel huldige dem Monopolismus, und der Monopolist werde in einem naiven Glauben an Fortschritt gottgleich den Niederungen des ökonomischen Alltags entzogen. Wenn es stimme, was Peter Thiels Biograph Max Chafkin schreibe – der »Thielismus« sei das »dominante Ethos im Silicon Valley« -, dann müsse die Gesellschaft alarmiert sein.

Private Firmenmonopole und Staatsmonopolismus

Hans-Jürgen Jakobs schreibt, der westliche Digital-Monopolismus habe erst Nachbarmärkte der Stammgeschäfte von »Gafam« (Google, Apple, Facebook, Amazon, Microsoft) erfasst und werde – wenn Politik und Wettbewerbsbehörden nicht einschreiten würden – alle Märkte erfassen, denn sie alle würden digitalisiert werden.

Hans-Jürgen Jakobs verweist in diesem Zusammenhang auf die Theorie des Staatsmonopolistischen Kapitalismus (Stamokap) und erwähnt dabei Kanzler Olaf Scholz, der als Jungsozialist einst zur »Überwindung der kapitalistischen Ökonomie« und ihrer Monopole aufrief, woran er heute nicht gerne erinnert wird.

China mit seinem Staatskapitalismus stellt für den Autor die zweite Spielart des Monopolismus dar. Dort seien nach einer Reihe von Fusionen – unterstützt von der alles dominierenden Kommunistischen Partei – öffentliche Riesenunternehmen mit gigantischer Belegschaft entstanden, die auf die Weltmärkte drängten, die »State-owned Enterprises« (SOE).

Laut Hans-Jürgen Jakobs führt die Konfrontation des privaten, westlichen Monopolismus mit dem staatlichen, östlichen Monopolismus dazu, dass die alten Idealmodelle vom Freihandel à la David Ricardo nicht mehr wie in der Blütezeit der Globalisierung in den 1990er-Jahren und in den 2000er-Jahren wertschöpfend funktionierten. Monopolismus drohe zum Flächenbrand zu werden. Politische Motive überlagerten wirtschaftliche.

Das Beispiel Amazon

Unter den Beispielen für die Machtkonzentration bei Grosskonzernen erwähnt Hans-Jürgen Jakobs Amazon, das den neuen Markt für E-Books durch Bestseller für 9,99 Dollar, weit unter den eigenen Kosten und unter den Preisen der Konkurrenz, die zwischen 12 und 30 Dollar verlangte, anbot und so mit Verlust eroberte. Amazon nahm hier bewusst, für sich bessere Preise durch. Als im Gegenzug fünf grosse Buchverlage mit Apple paktierten, mit einem eigenen Preismodell sowie mit 30 Prozent Provision für den Konzern aus Cupertino, schritt das US-Justizministerium aus Kartellgründen ein, da das Apple-Konsortium plante, die E-Book-Preise zum Nachteil der Verbraucher zu erhöhen. Ein Gericht bestätigte die Regierungsaktion. Dabei spielte keine Rolle spielte, dass Amazon bewusst Kampfpreise eingesetzt hatte, um Kunden weg vom »klassischen« gedruckten Buch hin zum E-Book und dabei zugleich noch hin zum Amazon-eigenen Lesegerät Kindle zu locken. Amazon betreit zudem einen eigenen Verlag, der viele Buchtitel bereithält. Mit dieser »vertikalen Integration« gelang Amazon die weitgehende Kontrolle einer Wertschöpfungskette. Heute kontrolliert die Firma laut Hans-Jürgen Jakobs 70 Prozent des E-Books-Markts. 2017 beklagte sich eine Gruppe von Autoren beim US-Justizministerium, die Handlungen von Amazon hätten der Buchindustrie »vitale Ressourcen« entzogen. Vielfalt und Qualität der Bücher hätten gelitten.

Hans-Jürgen Jakobs erwähnt zudem das 2005 als Kundenbindungsprogramm für das billigere Versenden von Waren gestartet Angebot Amazon Prime, das im April 2021 rund 200 Millionen Menschen weltweit benutzten. Zu diesem aufgebohrten Kundenbindungsprogramm gehört seit März 2022 zudem das Hollywood-Studio MGM. Unser Autor kommt zum Schluss, dass vor dem ganz und gar nicht lammfrommen Gross-Oligopol Amazon kein Entweichen gebe.

Die Zerstörung der Konkurrenz durch Aufkäufe

Hans-Jürgen Jakobs erwähnt als dritten Erfolgsfaktor der neuen Monopole aus den USA, über hemmungslose, ehrgeizige Akquisitionen von Firmen in neue Märkte einzudringen – und sich anschließend dort dauerhaft festzusetzen. Insgesamt hätten Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft in den vergangenen zehn Jahren mehr als eintausend Unternehmen erworben. In manchen Fällen geschah dies einzig aus dem Grund, den Markt abzusichern – und den potenziellen Aufstieg neuer Konkurrenten zu verhindern.

Facebook (Meta) kaufte neben vielen anderen Firmen Instagram und WhatsApp, Microsoft gehören Skye, Github und andere Unternehmen, Google übernahm Double Click, YouTube und viele andere. Amazon zwang 2010 trotz anfänglicher Gegenwehr Quidsi in die Knie, eine Firma, die zuvor im Online-Handel mit Windeln, Kosmetikprodukten und Seife stark gewachsen war. Jeff Bezos senkte trotz immenser Verluste die Preise für Windeln und andere Babyprodukte um 30 Prozent und startete den Service »Amazon Mom«, was Quidsi schliesslich zum Einlenken brachte, da die Marktmacht Amazons zu stark war. 2017 nahm der Bezos-Konzern dann einfach die Neuerwerbung wegen mangelnder Profitabilität nach dem Motto buy to destroy vom Markt, so Hans-Jürgen Jakobs.

Unser Autor erwähnt, dass mehrere US-Bundesstaaten den Verantwortlichen von Google und dem Facebook-Konzern Meta vorwarfen, illegal Absprachen für eine marktbeherrschende Stellung in der Internetwerbung getroffen zu haben.

Hans-Jürgen Jakobs notiert, es ist, als wäre »Standard Oil« als »Standard Data« wiederauferstanden, und das gleich fünfmal (in Form der Gafam). Er schreibt, der »Amerikanische Traum« lebe vor allem im Finanzkapitalismus, der mit dem Datenkapitalismus eng verbunden sei.

Im pseudo-kommunistischen China mit seinem entfesselten Binnenmarkt kontrollierten vier Banken – ICBC, China Construction Bank, Agricultural Bank of China und Bank of China – 98 Prozent des chinesischen Bankwesens.

Hans-Jürgen Jakobs analysiert in seinem Buch zudem China und seine Digitalmonopole, schreibt von der Rolle von Gazprom in Russland, von den europäischen Banken (auf dem Weg zu too big to fail?), von der fatalen Alternative zwischen Monopol und Datenschutz, von der Meinungsfreiheit, von der EU-Wettbewerbskommission und der EU-Wettbewerbskommisarin Margrethe Vestager, von René Benko, von der ungeklärten Rolle von ARD und ZDF, von Jack Ma und vielem mehr.

Zerschlagung und Entflechtung, zur Disruption der Disruption

Am Ende ruft Hans-Jürgen Jakobs auf zu Zerschlagung und Entflechtung, zur Disruption der Disruption. So schreibt er, der Kauf von Instagram und WhatsApp durch Facebook müsste konsequenterweise de facto rückabgewickelt werden. Mit der Trennung der drei Firmen würde eine exzessive horizontale Konzentration bereinigt werden. Bei Google sollte das Monopol Suchmaschine vom Monopol Android getrennt werden – also alles, was mit dem Betriebssystem für mobile Endgeräte zu tun hat, in eine getrennte Einheit mit anderen Eigentümern übergeführt werden.

Im zweitletzten Kapitel seines Buches entwickelt Hans-Jürgen Jakobs zwölf Thesen zu Monopolen und wie sie entstehen, zu Liefermonopolen und Shareholdervalue-Kapitalismus, zu Monopolen aus China, die uns mehr beschäftigen müssten als jene aus Russland, zum neuen Kalten Krieg, der ein Krieg der Monopole sei, zur Inflation, die mit der Monopolisierung zurückkehre, zu unseren privaten und staatlichen Steuerung durch digitale Monopole, etc.

Im letzten Kapitel schliesslich plädiert unser Autor für eine Stärkung der Kartellwächter, für eine neue Marktordnung, für eine europäische Einheit im geoökonomischen Streit um eine neue Weltordnung mit intelligenter Industriepolitik und Diversifizierung von Lieferquellen, für eine beherzte Förderung der Mittelstands- und Start-up-Kultur als Mittel der Innovationspolitik.

Laut Hans-Jürgen Jakobs ist die gefährlichste Entwicklung in Sachen Monopolismus der immer weiter eskalierende Systemwettstreit zwischen dem demokratischen Block auf der einen Seite und dem autokratischen Block auf der anderen. Laut ihm ist vieles, was wie Marktwirtschaft aussehe, lediglich pure Staatsinteressenwirtschaft. Im Westen seien die »freien Märkte« durch die neuen Monopole und grossen Oligopole stark verändert worden. Dabei wehrt er sich gegen die Idee einer Autarkie Europas. Er erwähnt die Aussage von Angela Merkel im Jahr 2017, die Europa zur Emanzipation vom Trump-Amerika anmahnte. Er erwähnt nicht, dass die Kanzlerin selbst nie ernsthafte Anstrengungen unternahm, ihren Worten Taten folgen zu lasssen, so bezüglich dem 2% NATO-Ziel bei Militärausgaben, das übrigens Donald Trump wie andere US-Präsidenten vor ihm annahmte. Die EU sollte sich übrigens nicht emanzipieren, sondern zum ernsthaften Partner der USA aufsteigen, um zusammen mit anderen Demokratien wie Japan und Südkorea die Gefahr von China (im Verbund mit Russland, Iran, etc.) zu bannen. Internationale Lieferketten und der deutsche Mittelstand, Wettbewerb und Transparenz sind weitere Themen, die er anspricht.

Dies sind nur einige wenige Angaben aus einem lesenswerten Buch, das zeigt, wie Monopole bzw. Oligopole die Vielfalt, die Innovation, unseren Wohlstand und unsere Freiheit bedrohen. Der Schreibende äussert seit zwei Jahrzehnten ähnliche Bedenken.

Hans-Jürgen Jakobs: Das Monopol im 21. Jahrhundert. Wie private Unternehmen und staatliche Konzerne unseren Wohlstand zerstören, Deutsche Verlags-Anstalt / dva, 2022, 431 Seiten. Das Buch bestellen bei Amazon.de.

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Buchrezension / Rezension vom 16. Februar 2023 um 09:28 Berliner Zeit.