Kanzler Scholz

Dez 08, 2021 at 22:47 1427

Der SPD-Politiker und bisherige Finanzminister in der bis heute von Kanzlerin Merkel geführten Grossen Koalition, Olaf Scholz (*1958), ist heute, am 8. Dezember 2021, wie erwartet vom deutschen Bundestag zum neuen Bundeskanzler gewählt worden. Der Bundestag zählt jetzt insgesamt 736 Abgeordnete. 707 Parlamentarier gaben ihre Stimme ab. Olaf Scholz erhielt 395 Stimmen und damit klar mehr als die erforderliche Mehrheit von mindestens 369 Stimmen. Doch die Ampelkoalition von Kanzler Scholz, bestehend aus SPD, Grünen und FDP, verfügt ingesamt über 416 Stimmen. In der geheimen Wahl verweigerten folgliche einige Abgeordnete der Ampel ihrem Kanzler die Stimme. Die SPD kontrolliert 206 Sitze, die Grünen 118 und die Liberalen 92.

Der 1958 geborene Olaf Scholz (Bücher bei Amazon.de) vertrat, als er noch Student war und lange Haare hatte, wirre marxistische Ideen (Staatsmonopolistischer Kapitalismus, Stamokap). Später wurde er Kanzler Gerhard Schröders rechte Hand im Kampf um Reformen wie Hartz IV, die diametral dem gegenüberstehen, wofür die Mehrheit der SPD-Parteibasis noch vor kurzem Stand. Deshalb wählten die SPD-Mitgleider nicht Olaf Scholz (und seine Tandem-Partnerin), sondern stattdessen Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans als Parteichefs. Doch dann wurde er Kanzlerkandidat der SPD, inbesondere von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans an Kevin Kühnert vorbei – ohne dessen Wissen – auf’s Schild gehoben. Da Armin Laschet und Annalena Baerbock im Wahlkampf viele Fehler machten und implodierten, stand der ruhige Olaf Scholz, der zuletzt gar die Merkel-Raute machte, also ruhiger, unaufgeregter, solider Politiker da, den alle seit Jahren kennen und dem viele vertrauen, trotz Hartz IV und der Schaffung des grössten Niedriglohnsektors in Europa, trotz den Ausschreitungen beim G20-Gipfel in Hamburg, als er dort Bürgermeister war, trotz den Skandalen um CumEx und Wirecard, bei denen Olaf Scholz zumindest keine gute Figur machte und sich an Treffen nicht mehr erinnern konnte bzw. wollte.

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, doch die Ampel kann nicht auf eine lange Schonfrist zählen. Heute morgen meldete das Robert Koch-Institut (RKI), dass innerhalb von 24 Stunden in Deutschland 527 Menschen an oder mit Corona gestorben sind. Das ist die höchste Zahl an Corona-Toten seit Februar 2021.

Olaf Scholz und die SPD, die das Amt des Gesundheitsministers stellt, haben viel zu viel Zeit mit der Ernennung des zuständigen Ministers zugewartet. Am Ende ist doch noch der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach geworden, der auf Twitter und in Talk-Shows schon mal den „Weltuntergang“ beschwört und bei dem man hin und wieder befürchtet, er könnte im Alleingang die deutsche Wirtschaft versenken. Lauterbach ist ist sicher ein fähiger Wissenschafter, doch fehlt ihm die Exkutiverfahrung. Immerhin ist er vom Fach, anders sein Vorgänger Jens Spahn, der von der Pandemie sichtlich überfordert war. Wenn Lauterbach als Minister nüchtern und sachlich kommuniziert und ihm jemand im Gesundheitsministerium mit Verwaltungstalent bei Seite steht, könnte es dennoch besser werden.

Als Liberaler ist es traurig zu sehen, dass die deutschsprachigen Länder in der Pandemie bisher beim Impfen versagt haben. Hier in Portugal ging die Impfquote auch ohne Pflicht hoch. Allerdings mussten zuerst relativ viele Menschen sterben.

Es wird noch viel mehr geimpft werden müssen. Vorläufige Ergebnisse einer Omikron-Studie von BioNTech zeigen heute, dass es guten Schutz gegen Omikron nur mit drei Impfungen gibt. Zwei Impfungen bieten nicht genügend Schutz gegen Ansteckungen, dafür immerhin gegen schwere Erkrankungen, so BioNTech. Das Thema Impfen wird uns folglich erhalten bleiben, nicht zuletzt auch, weil die gesamte Welt geimpft werden muss, damit die Pandemie gestoppt werden kann.

Die Impfpflicht existiert für Kinderlähmung, Masern, Pocken, etc. Eine allgemeine Corona-Impfpflicht wäre sicher nicht das Ende der Welt. Im deutschsprachigen Raum sind leider viele Alternativmediziner – einige sicher mit guten Rezepten und Methoden -, doch darunter viele Quacksalber, Globuli-Befürworter – inbesondere bei den Grünen – und andere Spinner unterwegs, weshalb es vielleicht ohne Impfpflicht nicht gehen wird. Traurig. Doch die Ampel, die eine Mehrheit im Bundestag hat, muss im Verbund mit den Ländern rasch handeln. So geht es nicht weiter. Vor allem müssen halt auch Abstand halten, Masken tragen, Filter installieren und andere Massnahmen durch- bzw. umgesetzt werden. 2020 mehrfach in Berlin sah ich jedesmal in U- und S-Bahn Personen ohne Maske sowie solche mit der Maske unter der Nase oder unter dem Kinn.

Der Lockdown tötet nur die Wirtschaft, nicht Corona. Hotels, Geschäfte, etc., wo die Einhaltung der Sicherheitsmassnahmen gewährleistet ist, offen lassen. Nur dort einschreiten, wo Unternehmer, Kunden, Bürger sich nicht daran halten. Saftige Bussen und, im Wiederholungsfall, Schliessungen sind nötig. Die überwiegende Mehrheit hält sich an die Regeln.

Zurück zu Kanzler Scholz. Heute sagte er nach seiner Wahl in einem ZDF-Interview am Abend zum Fakt, dass sein innerparteilicher Gegner Kevin Kühnert nun SPD-Generalsekretär werden soll, dieser sei gar kein Gegner, denn er werde ja Generalsekretär. Bezüglich der zu erwartenden Politik zu China verwies Scholz auf Willy Brandt und Helmut Schmidt. Mit der von ihnen entwickelten Ostpolitik und Entspannungspolitik sei es möglich geworden, ein Miteinander zu entwicklen in einer dramatisch verfeindeten Situation. Heute sei der Eiserne Vorhang verschwunden. In Osteuropa gäbe es in vielen Ländern heute Demokratien. Olaf Scholz sah keinen Gegensatz zwischen Wirtschaftsbeziehungen mit China wie bisher und der von Aussenministerin Baerbock angekündigten stärkeren Betonung von Menschenrechten im Umgang mit China und Russland. Olaf Scholz betonte, für Deutschland heisse die Konsequenz, selber stark zu sein. Doch auch ein Miteinander mit Regierungen, die ganz anders seien, müsse es geben. Er betonte im Hinblick auf die Ukraine und die Krim, die Grenzen müssten unverletzlich sein. Man könne nicht schauen, wo waren die Grenzen vor 100 oder 200 Jahren. Der Kanzler forderte die Herrschaft des Rechts und die Unverletzlichkeit der Grenzen. Er betonte zudem, der Koalitionsvertrag sei nicht nur Literatur. Er müsse umgesetzt werden.

Dazu gibt es anzumerken, dass Papier geduldig ist und alles annimmt. Warten wir ab, was aus dem 177-seitigen Koalitionsvertrag wann und wie umgesetzt wird. Neue, unerwartete Krisen könnten die Agenda durcheinander bringen. Immerhin hat die Ampel eine Agenda. Bei Kanzlerin Merkel war davon nicht viel zu sehen. Und wo sie etwas ankündigte, wurde es zu oft nicht oder nur sehr beschränkt umgesetzt.

Noch einige Worte zum Kabinett von Kanzler Olaf Scholz: Neben dem Sozialdemokraten als Kanzler umfasst es acht Frauen und acht Männer. Die SPD stellt neben dem Kanzler insgesamt 7 Minister und Ministerinnen, die Grünen stellen 5 und die FDP 4. Der versprochene Geschlechter-Proporz wurde umgesetzt. Die neue Aussenministerin Annalena Baerbock (Grüne) erhält vom Umweltministerium die Zuständigkeit für die internationale Klimapolitik. Heute sagte im Deutschlandfunk der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, dass die Außenpolitik „insbesondere im Kanzleramt“ gesteuert werde. Dieser Einschätzung widersprach sofort und ausdrücklich der Aussenpolitiker Omid Nouripour, der sich um den Grünen-Fraktionsvorsitz bewirbt. Allerdings ist es in der Tat so, dass schon Kanzlerin Merkel und auch frühere Kanzler – Kohl und die deutsche Einheit! – weit in die Aussenpolitik eingegriffen haben.

Das Verkehrsministerium unter der Führung von Volker Wissing (FDP) bekommt mehr Kompetenzen im Bereich Digitales. Die mir unbekannte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) betont die Bedeutung des Kampfes gegen Rechts. Mit dem über Parteigrenzen hinaus beliebten Cem Özdemir (Grüne) rutscht erstmals ein Minister mit türkischen Wurzeln ins Kabinett. Das war überfällig.

Damit wären wir bei der Frage, ob die richtigen Leute im falschen Ministerium sitzen. Cez Özdemir gehörte eigentlich ins Aussenministerium. Robert Habeck war von 2012 bis 2018 in Schleswig-Holstein Minister für Energie, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und zuletzt auch Digitales. Im Kabinett Scholz kümmert er sich nun um Wirtschaft und (immerhin) Klimaschutz. Was macht Annalena Baerbock im Aussenministerium? Sie gehört doch ins Ressort Umwelt und/oder Verkehr, wobei die Grünen auf das Verkehrsministerium verzichteten, obwohl Frau Baerbock noch im Wahlkampf gross getönt hatte: «Und schon allein dafür, dieses Verkehrsmin zu einem wirklichen Infrastrukturmin des Jahres 2021 umzuwandeln, lohnt es sich, am 26.9. die Grünen zu wählen.» Die Ampelkoalition ist natürlich auf Kompromisse gebaut. Doch einige Fachpolitiker scheinen im falschen Ministerium zu sitzen.

Nochmals ein Wort zum Koalitionsvertrag: «Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit». Darin durfte jede Partei reinschreiben, was ihr so am Herzen liegt. Zielkonflikte sind vorprogrammiert. Man liest darin von der Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro. Der Lohn ist ein Preis, den der Staat nicht einfach willkürlich festsetzen kann. Bisher ging dies gut, weil der Mindestlohn offensichtlich nicht zu hoch angesetzt war. Wenn man es übertreibt, führt dies zu Arbeitslosigkeit. Die Schweiz hat viel höhere Löhne, ohne einen Mindestlohn zu kennen. Im Koalitionsvertrag steht zudem: „Unser Ziel ist der Bau von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr, davon 100.000 öffentlich geförderte Wohnungen.“ Auch hier gilt: Es ist am Markt, für mehr (oder weniger) Wohnungen und höhere oder tiefere Mieten zu sorgen. Staatliche Eingriffe sind zumeist kontraproduktiv. Siehe die Wohnungspolitik in Berlin: Mietendeckel, Enteignung und Vergesellschaftung von Wohnungen grosser Wohnungsunternehmen. Die Ampel will zudem bis 2045 Klimaneutralität erreichen. Im Koalitionsvertrag stehen dazu Sätze wie: „Die Bundesregierung wird ihre öffentlichen Geldanlagen, die dem Ziel der Klimaneutralität bis 2045 widersprechen, schrittweise abziehen. Wir werden die staatliche Förderung und Absicherung von Projekten deutscher Unternehmen im Ausland über die KfW nutzen, um Partnerstaaten dabei zu unterstützen, ihre Klimaziele zu erreichen.“ Oder: „Wir wollen die 2020er Jahre zu einem Aufbruch in der Mobilitätspolitik nutzen und eine nachhaltige, effiziente, barrierefreie, intelligente, innovative und für alle bezahlbare Mobilität ermöglichen. Für die notwendigen Veränderungsprozesse werben wir um Akzeptanz und werden unsere Ziele dialogorientiert umsetzen und die Maßnahmen regelmäßig überprüfen. Die erforderlichen
Entscheidungen zur Erreichung unserer Klimaschutzziele für 2030 und 2045 mit dem Ziel der
Dekarbonisierung des Mobilitätsbereiches werden wir treffen und die praktische Umsetzung deutlich
beschleunigen.“

Nochmals: Papier ist geduldig, Papier nimmt alles an. Die Ampel hat eine Chance verdient. Warten wir mal ab, was daraus wird. Unter Kanzlerin Merkel gab es in viel zu vielen Bereichen 16 Jahre lang Stillstand oder nur wenige Fortschritte. Mutti nachzutrauern ist verfehlt.

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Der heute zum Kanzler gewählte Olaf Scholz. Ein Foto, das ihn bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages am 7. Dezember 2021 zeigt. Photo: Sandro Halank, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0.

Artikel vom 8. Dezember 2021. Hinzugefügt um 22:47 deutscher Zeit.