Viktor Orbans Hinwendung zum Illiberalismus

Aug 28, 2014 at 15:06 1306

Igor Janke hat in seiner Orban-Biografie den Werdegang des heutigen ungarischen Ministerpräsidenten anschaulich beschrieben. Der Zuspruch, den der starke Mann Ungarns bei den Wahlen 2010 und 2014 erhielt, erklärt sich durch seine gezielte Aufbauarbeit von Partei, Think Tanks, Medien und Unternehmen, die seinem Fidesz nahe stehen. Sie ist gleichzeitig Ausdruck des politischen und moralischen Niedergangs der Linken (MSZP), die noch auf die kommunistische Einheitspartei zurückgeht. Dass Viktor Orban mit Überbleibseln des Kommunismus wenig zimperlich umgeht, sehen ihm daher viele Ungarn nach.

Doch in den letzten Jahren hat der Ministerpräsident den Bogen überspannt. Der Fidesz fiel daher gegenüber dem historischen Wahlsieg von 2010 mit fast 53% der Stimmen und gut 68% der Mandate auf knapp 45% der Stimmen und 67% der Sitze zurück. Allerdings ging die nationalistische Saat von Viktor Orban rechts von seinem Fidesz weiter auf: Die rechtsradikale Jobbik-Partei gewann nochmals 3,55% hinzu und kam bei den Parlamentswahlen vom 6. April 2014 auf knapp über 20% der Stimmen. Das reichte für 23 Mandate im Parlament mit 199 Sitzen, hinter dem linken MSZP mit 38 und dem Fidesz mit 133 Sitzen.

Viktor Orban leidet seiner Wahl 2010 zunehmend an Selbstüberschätzung und setzt ähnlich gesinnte Politiker in der Kultur ein, die immer nationalistischer werden soll. Der nationalistische und ultrakonservative Präsident der ungarischen Kunstakademie, György Fekete, wurde schon als ungarischer „Kunstdiktator“ bezeichnet. Der weltbekannte Dirigent Adam Fischer trat aus Protest gegen Massnahmen der Regierung Orban Ende 2010 von seinem Amt als Generalmusikdirektor der Ungarischen Staatsoper zurück. Viele Rücktritte gab es aus der Kunstakademie, darunter die Opersängerin Andrea Rost und der Regisseur Gabor Tompa. Der Chef der Nationalgalerie gefiel György Fekete nicht: zu dekadent, zu schwul, zuviel Sex in der Kunst. Vom unterschwelligen und offenen Antisemitismus und der Hatz auf „Zigeuner“ in Orbans Ungarn wollen wir hier gar nicht erst beginnen.

Orbans Rede: Eine Apologie des Illiberalismus

In einer auf ungarisch gehaltenen Rede am 26. Juli 2014 im rumänischen Baile Tusnad anlässlich der 25. Freien Sommeruniversität schoss Viktor Orban den Vogel ab. Er bezeichnete Singapur, China, Indien, Russland und die Türkei als die heutigen „Stars“ internationaler Analysen. Diese Systeme seien nicht westlich, nicht liberal und keine liberalen Demokratien, vielleicht nicht einmal Demokratien, und dennoch erfolgreich. Vor Jahren hätten die Ungarn dies geahnt und vielleicht auch intellektuell verarbeitet, wobei er auf die Taten seiner Regierung in den vier Jahren von 2010 bis 2014 verwies. Auf diesem Weg will er in den kommenden vier Jahren weiterfahren. Ausdrücklich betonte er, dass es darum gehe, sich von den in Westeuropa akzeptierten Dogmen und Ideologien loszusagen. Es gehe darum, eine eigene Organisationsform der Gemeinschaft, den neuen ungarischen Staat zu finden, um Ungarn in der Welt wettbewerbsfähig zu machen. Eine Demokratie müsse nicht unbedingt liberal sein. Die Welt habe bisher den Nationalstaat, den liberalen Staat und den Wohlfahrtsstaat gekannt. Die ungarische Antwort auf die Frage nach dem Staat der Zukunft sei die Epoche eines auf Arbeit basierten Staates, der nicht liberaler Natur sei. Laut Viktor Orban müssen wir uns von den liberalen Prinzipien und Methoden der Gesellschaftsorganisation, überhaupt vom liberalen Verständnis der Gesellschaft lossagen. Die liberale Demokratie sei unfähig, der Nation zu dienen. Sie habe den Gedanken des nationalen Interesses generell in Frage gestellt. In diesem Kontext vergisst Viktor Orban nicht, die Auslandungarn zu erwähnen. Die ausserhalb Ungarns lebenden Ungarn gehörten zur ungarischen Nation.

Viktor Orban fuhr in seiner Rede fort mit der Behauptung, der liberale Staat habe das Gemeinschaftsvermögen nicht geschützt. In der Financial Times sei Ungarn am Ende der Liste der EU-Staaten mit öffentlichem Besitz gelandet, mit Ausnahme vielleicht von zwei Ländern. Der liberale ungarische Staat habe das Land nicht vor der Verschuldung beschützt, wobei er insbesondere die Fremdwährungskredite erwähnt, wodurch Familien zu Kreditsklaven geworden seien. In seinem neuen ungarischen Staat sieht Viktor Orban die Werte des Christentums, der Freiheit und der Menschenrechte als zukünftige Pfeiler. Der neue Staat müsse ein illiberaler sei. Die ungarische NGO-Szene sei geprägt von vom Ausland bezahlten politischen Aktivisten. Trotzdem glaubt Viktor Orban, dass Ungarn als illiberaler Staat Teil der Europäischen Union bleiben könne.

Viktor Orban vergisst in seinem Furor gegen den liberalen Staat, dass eben diese Staaten ihren Bürgern sehr viel mehr Wohlstand (BIP per capita) gebracht haben als die illiberalen Staaten. Die Bürger und ihre Arbeit, die Viktor Orban immer so am Herzen liegen, gehören eindeutig zum liberalen Staat, denn nur dieser macht die Menschen zu vollwertigen Bürgern, die am Staat als Wähler und Gewählte, als Teile der Zivilgesellschaft und als Subjekte in der Wirtschaft teilnehmen, sich entfalten und die Früchte ihrer Arbeit geniessen können (liberale Eigentumsrechte). Die überragenden Wahlsiege scheinen dem ungarischen Ministerpräsidenten das Gehirn gehörig vernebelt zu haben.


Igor Janke: Viktor Orbán. Ein Stürmer in der Politik. Schenk Verlag, 2014, 343 Seiten. Die Biografie bestellen bei Amazon.de. Bücher zu Ungarn bei Amazon.de und Amazon.co.uk.

Weitere Artikel: Igor Janke hat in seiner Orban-Biografie. [Hinzugefügt am 16.2.2019: Der französische Artikel mit der Biografie des Admirals Horthy, auf den sich Orban als Vorbild gerne bezieht].

Artikel vom 28. August 2014 um 15:06 CEST