en passant – Impressionismus in Skulptur

Apr 02, 2020 at 00:36 14605

Leider ist die vom 19. März bis 26. Juni 2020 geplante Ausstellung en passant. Impressionismus in Skulptur im Städel Museum in Frankfurt wegen der aktuellen Coronavirus-Epidemie geschlossen. Doch immerhin ist das Buch dazu erhältlich, das sich hauptsächlich den Bildhauern Edgar Degas (1834–1917), Auguste Rodin (1840–1917), Medardo Rosso (1858–1928), Paolo Troubetzkoy (1866–1938) und Rembrandt Bugatti (1884–1916) und ihren Plastiken widmet, wobei sich die Künstler in ihren Zielen und ihrer Vorgehensweise teils erheblich unterschieden. Alle fünf Bildhauer waren zumindest zeitweise in Paris tätig, wobei sie ansonsten eher lose Berühungspunkte hatten, so die Herausgeber in einem einleitenden Essay.

Den Buchumschlag ziert eine Detailaufnahme einer meiner Lieblingsskulpturen, die einzige meines Favoriten unter den fünf vorgestellten Künstler, die zu seinen Lebzeiten öffentlich ausgestellt wurde: La Petite danseuse de quatorze ans von Edgar Degas (Kleine 14-jährige Tänzerin, 1878/79–1881, eingefärbtes Bienenwachs, Ton, Metallarmatur, Seile, Pinsel, Menschenhaar, Seiden- und Leinenbänder, Baumwollmieder, Baumwoll- und Seidentutu, Leinenschuhe auf Holzpodest, 94,4 × 35 × 35,8 cm, National Gallery of Art, Washington, D.C.).

1881 führte der Schriftsteller und Theaterkritiker Jules Claretie in Bezug auf die damals ausgestellte Wachsfigur La Petite danseuse de quatorze ans erstmals die Bezeichnung des „impressionistischen Bildhauers“ ins Feld, was allerdings nicht als Kompliment gemeint war: „Das ist also die Originalität dieser Ausstellung der Indépendants. Sie beginnen ihre Unabhängigkeit auch im Bereich der Bildhauerei zu behaupten. Es reichte ihnen nicht die Farbe. Sie benötigten Wachs oder Gips oder Bronze. Guter Gott! Wir werden impressionistische Bildhauer haben!“

Der Impressionist Edgar Degas fertigte für La Petite danseuse de quatorze ans ab 1878/79 zuerst Skizzen an, danach ein vorbereitendes Wachsmodell, das 1881 auf dem 6. Impressionisten-Salon in Paris gezeigt wurde, nachdem Degas die Skulptur bereits im Jahr zuvor für den 5. Salon angekündigt, doch, unzufrieden mit dem Ergebnis, nur eine leere Vitrine gezeigt hatte. Später folgte eine Modellbronze der 14-jährigen Tänzerin, die sich heute im Metropolitan Museum of Art in New York befindet – dank der Sammlerin Louisine W. Havemeyer, die diese sowie ein Exemplar aller von Degas nach seinem Tod je gemachten Bronzen dem Museum schenkte. Ebenfalls laut dem Auktionshaus Sotheby’s (Katalog-Infos von 2015) gibt es neben dem Wachsmodell und der Modellbronze von La Petite Danseuse de quatorze ans ingesamt noch 2 Gips- und 27 Bronzeskulpturen des Werkes, die alle erst nach dem Tod von Edgar Degas im Auftrag seiner Erben 1920-1921 entstanden.

Im Katalog zur Ausstellung im Städel Museum 2020 ist von 29 Bronzen und 2 Gipsabgüssen von La Petite Danseuse de quatorze ans zu lesen. Zudem steht dort, dass alle erhaltenen originalen Plastiken von Degas – dabei handelt es sich im Wesentlichen um Wachs-, Ton- und Gipsskulpturen des Künstlers – 1956 vom Sammler Paul Mellon en bloc erworben und in den Folgejahren auf eine Reihe von Museen verteilt wurden, wobei den Löwenanteil die National Gallery in Washington mit 52 Werken erhielt. Auf der Webseite der National Gallery of Art in Washington ist zu lesen: „ … the Gallery now houses 52 original Degas works in wax, clay, and plaster, including the famous Little Dancer Aged Fourteen (1878–1881), as well as a dozen cast bronzes and one posthumously produced plaster.“

Im Juni 2015 wurde bei Sotheby’s eine der insgesamt wohl 29 Bronzen von La Petite Danseuse de quatorze ans für £15,829,000 versteigert. Mehrere dieser Güsse der 14-jährigen Tänzerin stehen in europäischen Museen. Eine befindet sich übrigens im Albertinum (Artikel mit Foto der Skulptur) in Dresden, wo sie ebenfalls die Pastellarbeit auf Papier Zwei Tänzerinnen (um 1898) bewundern können.

Im Vorwort des Katalogs schreiben die Herausgeber zur Ausstellung en passant. Impressionismus in Skulptur, dass sich Edgar Degas in seinen Skulpturen überwiegend kleinformatigen Tänzerinnen und Badenden aus der Motivwelt der Oper und des Boudoirs schöpfte und sein plastisches Werk bis auf die erwähnte herausragende Ausnahme im Atelier zurückhielt. Auguste Rodin hingegen schlug im Bereich des öffentlichen Porträts und Denkmals neue Wege ein, mit denen er den Betrachter herausforderte. Medardo Rosso wiederum zielte mit seinen dem anonymen Großstadtleben „en passant“ entnommenen Figuren mehrheitlich auf eine intimere Betrachtung. Paolo Troubetzkoy vermochte es in seinen opulenten Bildnissen, die vermeintliche Schwere der Materie aufzuheben, indem er das Lichtspiel zu seinem eigentlichen Thema machte. Rembrandt Bugatti wiederum tat sich mit eindrücklichen Tierplastiken als scharfer Beobachter hervor. Diese Künstler seien zu ihren Lebzeiten als impressionistische Bildhauer bezeichnet worden, so die Herausgeber. So unterschiedlich ihre Mittel und Wege waren, so einhellig waren die Künstler bestrebt, mit ihren Arbeiten das Sehen und Erleben der Bildhauerei zu erneuern – parallel zu den Bemühungen der Malerei des Impressionismus.

In der Ausstellung und im Katalog werden die Besonderheiten dieser Skulpturen in Bezug zu Gemälden, Papierarbeiten und Fotografien des Impressionismus gesetzt, so wie es die Künstler zu Lebzeiten selbst öfters taten. Vertiefende Essays von Alexander Eiling, Dominik Brabant, Eva Mongi-Vollmer, Yvette Deseyve und Philipp Demandt widmen sich ihren Skulptuern. An den namensgebenden Pariser Impressionisten-Ausstellungen zwischen 1874 und 1886 nahm als Einziger der genannten Bildhauer Edgar Degas teil.

Der Frage, ob nun La Petite danseuse de quatorze ans einen Sinneseindruck, eine „Impression“ darstellt, gehen auch die Autoren im Katalog nach. Die ganze Entstehungsgeschichte des Werkes über mehrere Jahre hinweg steht im Widerspruch zumindest zur landläufigen Meinung, was denn der Impressionismus darstellt. Skulpturen an und für sich, schwer und statisch, scheinen die Antithese zu den flüchtig und skizzenhaft gemalten Impressionen, die das Fluktuierende und die scheinbar im Vorbeigehen (en passant) wahrgenommenen Motive der impressionistischen Papier-, Aquarell-, Pastell- und Ölarbeiten zu sein. Daher widmen sich die Autoren der Frage, was überhaupt unter dem so schillernden wie nebulösen Begriff Impressionismus sowie unter impressionistischer Skulptur zu verstehen ist bzw. verstanden wurde. Unter anderem mehr zu dieser bis heute andauernden Debatte finden Sie im substantiellen Katalog, der sich wie erwähnt nicht nur um Degas dreht, sondern im Wesentlichen um die fünf oben erwähnten Künstler.

Alexander Eiling, Eva Mongi-Vollmer, Herausgeber: en passant. Impressionismus in Skulptur. Hardcover, Städel Museum in Frankurt. Hardcover, Prestel Verlag, März 2020, 328 Seiten. Katalog / Buch bestellen bei Amazon.de. Find the English edition at Amazon.de, Amazon.com, Amazon.co.uk, Amazon.fr.

Siehe zum Thema Edgar Degas unsere zwei englischen Artikel Biography of Edgar Degas und Degas at Harvard. Zur Kunst im Städel in Frankfurt siehe unseren deutschen Artikel zu den dort ausgestellten Alten Meistern.

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Der Ausstellungskatalog bildet die Hauptquelle für diese Rezension. Zitate und Teilzitate sind zur besseren Lesbarkeit nicht mit Gänsefüsschen ausgezeichnet.

Rezension des Prestel-Katalogs vom 2. April 2020 um 00:36 deutscher Zeit.