François Boucher in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe

Mrz 03, 2021 at 14:25 1293

Dem französischen Hofmaler des Rokoko, François Boucher (1703-1770), widmet die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe anlässlich seines 250. Todestages die erste monografische Ausstellung in Deutschland. Ohne Covid19-Pandemie hätte sie vom 14. November 2020 bis am 7. Februar 2021 gedauert. Die Ausstellung ist ab 30. März 2021 wieder geöffnet und verlängert bis am 31. Mai 2021. Der im Wienand Verlag erschienene Katalog François Boucher. Künstler des Rokoko ist lesenswert und bildet die Grundlage für diesen Artikel.

Die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe hat sich in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt französischen Künstlern gewidmet, so Hubert Robert (1991/91), Jean Siméon Chardin (1999), Eugène Delacroix (2003/04), der französischen Skulptur (2007, 2009/10), Camille Corot (2012/13), Jean-Honoré Fragonard (2013/14), Edgar Degas (2014/15), Paul Cézanne (2017/18) sowie der hauseigenen Sammlung französischer Zeichenkunst (2018/19). Karlsruhe ist daher der ideale Ort, um François Boucher (1703-1770) den Deutschen näher zu bringen.

Zu seinen Lebzeiten fand François Boucher trotz seiner europaweiten Wertschätzung auf dem heute deutschen Gebiet nur in die fürstlichen Kollektionen der Häuser Baden und Pfalz-Zweibrücken eingang. Die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe besitzt heute  vier Gemälde, drei Zeichnungen, fünfzehn Radierungen und 85 Reproduktionsgrafiken nach Boucher. Dieser Sammlungsbestand bildete die Grundlage für die aktuelle Ausstellung.

2015 hiess das Thema der Grossen Landesausstellung Die Meister-Sammlerin. Karoline Luise von Baden. Auf sie geht der Bestand zurück. Markgräfin Karoline Luise von Baden (1723-1783) war neben Christian IV. von Pfalz-Zweibrücken die einzige Person, die sich auf heute deutschen Gebiet um Boucher bemühte. Ihr Hofmaler Joseph Melling war ein Schüler Bouchers und dürfte impulsgebend gewirkt haben. Die Marktgräfin suchte gezielt den personlichen Kontakt zum französischen Künstler, um Werke von ihm über ihren Agenten Jean-Henri Eberts zu erwerben. So beauftrage sie Boucher, zwei Pastorale für sie zu malen, die sie danach Markgraf Karl Friedrich von Baden zur Dekoration der Privatgemächer im Schloss überliess. Zudem erwarb sie sechs Pastelle, von denen heute leider keines mehr erhalten ist.

Die Markgräfin bemühte sich nicht nur um François Boucher, sondern sie hat zudem zum Beispiel Jean Siméon Chardin gesammelt. Von den rund 200 Gemälden, die dieser in seinem langen Leben fertig stellen konnte, erwarb die Markgräfin Karoline Luise von Baden zu Lebzeiten des Künstlers deren fünf.

Zurück zu Boucher: Karoline Luise von Baden war von der Mätresse des französischen Königs Ludwig XV., Madame de Pompadour, fasziniert. Sie galt in Fragen des Geschmacks und der Mode als die unangefochtene Instanz ihrer Zeit. François Boucher war ihr Lieblingsmaler. Da war es nur logisch, dass dieser Maler in Baden ebenfalls hoch im Kurs stand.

François Boucher war  als Premier peintre du Roi, als Direktor der Königlichen Akademie und als Lehrer der Madame de Pompadour nicht nur die führende Figur des Rokoko, sondern stand in der Kunstgeschichte im Ruf, das Ancien Régime mit den Mitteln der Kunst stabilisert und die Dekadenz seiner Zeit malerisch auf den Punkt gebracht zu haben.

François Bouchers feminine, frivole, wollüstige, verführerische Werke waren der Inbegriff des goût français, der bereits gegen Ende von Bouchers Laufbahn als künstlich, als mauvais goût abgewertet war.

Ausstellung und Katalog François Boucher. Künstler des Rokoko in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe präsentieren mit 136 Werken einen kleinen Ausschnitt aus einem gewaltigen Schaffen, das über 1000 Gemälde und 10000 Zeichnungen, von denen heute noch rund 3000 bekannt sind, umfassen soll. Der Schwerpunkt liegt in Karlsruhe auf den Zeichnungen, die im Schaffen Bouchers autonomen Charakter haben und als Werke mit Eigenrecht ausgestellt und verkauft wurden.

Der doppelte Fokus der Ausstellung und des Buches liegt auf der erstmaligen Vorstellung Bouchers in Deutschland, inklusive Entstehungskontext der Werke, stilistische Entwicklung des Künstlers vom rokokohaften Früh- bis zum hart kritisierten Spätwerk. Gleichzeitig wird Boucher im Blick der jüngeren Forschung neu bewertet. So liegt das Augenmerk nicht nur auf dem Akademiker und Hofmaler, sondern zudem wird sein ausgeprägter Hang zum Experiment und sein Interesse an den Naturwissenschaften hervorgehoben, das sich u.a. in seiner Sammlung von Muscheln, Schnecken und Naturalien zeigt, die wiederum seine Kunst inspiriert hat.

François Boucher war ein marktbewusster Künstler, der die innovativen Reproduktionstechniken seiner Zeit benutzte, um europaweit bekannt zu werden und sich Absatzmärkte zu sichern. Er war sich nicht zu schade, seine Entwürfe über kunsthandwerkliche Techniken wie Gobelins und Porzellan zu verbreiten; die Etablierung der Manufature royale de Sèvres ist das Verdienst von Madame de Pompadour, deren Lieblingsmaler Boucher war.

Die jüngere Forschung betont die haptisch-taktilen Qualitäten von Bouchers Kunst. Vor allem aber senden seine Werke Apelle jenseits des Motivischen; sie wecken das Begehren, ihre Materialität zu erkungen und ihre Oberflächen mit den Augen abzutasten. In Karlsruhe wird aus dem Inbegriff des Rokoko ein intelligenter, selbstbewusster und äusserst anpassungsfähiger Künstlerstratege. Ich würde meinen, dass sich die zwei Deutungen ergänzen.

Im reich illustrierten Katalog untersucht Astrid Reuter in einem kurzen Beitrag den Werdegang von François Boucher, seinen sozialen Aufstieg, die Aufwertung der Oberfläche und die Abnahme des Erzählerischen in seinem Werk, die Erwerbungen von Karoline Luise von Baden, der neue Blick auf das Rokoko, das trotz der Wertschätzung einer Minderheit in der Romantik erst ab den 1980er Jahren nicht mehr als veraltet, unmodern abgewertet wurde.

Oliver Jehle beschreibt in seinem Katalogbeitrag die Beziehung zwischen Rokoko und Aufklärung. Peter Fuhring widmet sich dem Rocailleornament im Werk von Boucher. Christoph Martin Vogtherr beleuchtet die Ironie in Bouchers Werk. Perrin Stein analyisiert Druckgrafik und Pastiche. Françoise Joulie unterucht den schöpferischen Prozess bei François Boucher. Hans Pleschinski widmet sich Madame de Pompadour, der Chefin des Malers. Aileen Ribeiro schreibt zum Thema Boucher und die Mode. Tapisserien und Porzellan nach Boucher werden in einem Beitrag von Barbara Bauer unter der Überschrift Der Künstler als „Marke“ abgehandelt. Der Katalog bietet zudem ein Gespräch mit Alastair Laing (*1944), der sein Leben lang Boucher und sein Werk erforscht hat.

Dies und noch viel mehr findet sich in diesem lesenswerten Buch, in dem nicht zuletzt die ausgestellten Werke detailliert beschrieben werden: Bewegung erkunden, Materialien fühlen, Macht darstellen, Natur geniessen, Schönheit bewundern, Geschichten erzählen, so lauten die Überschriften unter sorgfältig gruppierte Werke.

François Boucher. Künstler des Rokoko. Wienand Verlag Köln, 2020, 368 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, 24.4 x 4 x 29.2 cm. Buch / Katalog bestellen bei Amazon.de.

Siehe zudem unseren französischen Artikel La Chine rêvée de François Boucher.

Zitate und Teilzitate in dieser Buchkritik / Buchrezension sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlussszeichen gesetzt.

Buchrezension / Rezension vom 3. März 2021 um 14:25 deutscher Zeit. Daten der Ausstellung zuletzt aufdatiert am 29. März 2021.