Meret Oppenheim

Nov 02, 2021 at 22:07 1287

Alle kennen die weltberühmte Pelztasse (Le déjeuner en fourrure, 1936) von Meret Oppenheim (1913-1985). Die zu früh verstorbene Dame dahinter ist weniger bekannt. Völlig zu unrecht. Ein Buch sowie zwei Ausstellungen mit den dazu gehörigen Katalogen erlauben es nun, Leben und Werk der bedeutenden Künstlerin zu entdecken.

Die Schau Meret Oppenheim. Mon exposition mit über 150 Werken ist im Kunstmuseum Bern vom 22. Oktober 2021 bis am   zu sehen. Meret Oppenheim: My Exhibition wird danach in The Menil Collection, Houston (Texas) vom 25. März bis am 18. September 2022 weiterwandern. Zuletzt wird die Ausstellung zusätzlich noch in The Museum of Modern Art, New York vom 30. Oktober 2022 bis am 4. März 2023 gezeigt werden. In Covid-Zeiten bitte vor einem Besuch zuerst die jeweiligen Museums-Seiten konsultieren.

2021 ist nicht nur der Katalog zur Wanderausstellung bei Hirmer erschienen, sondern zudem publizierte Simon Baur bei Scheidegger & Spiess das Buch Meret Oppenheim. Geheimnisse. Eine Reise durch Leben und Werk. Derselbe Verlag veröffentlichte ausserdem anlässlich der Ausstellung von Papierarbeiten der Künstlerin im Kunstmuseum Solothurn vom 23. Oktober 2021 bis am 27. Februar 2022 den Band Meret Oppenheim 1913-1985. Arbeiten auf Papier. Auf diesen drei Werken beruhrt dieser Artikel.

Biografie der frühen Jahre von Meret Oppenheim

Simon Baur schreibt in Meret Oppenheim. Geheimnisse. Eine Reise durch Leben und Werk, dass Meret Oppenheim am 6. Oktober 1913 in Charlottenburg bei Berlin als Tochter des Hamburger Arztes Erich Alfons Oppenheim und seiner Schweizer Frau Eva Oppenheim-Wenger geboren wurde. Benannt wurde sie nach dem «Meretlein» aus Gottfried Kellers Roman Der grüne Heinrich.

Die Kriegsjahre verbringt Meret mit ihrer Mutter bei ihrern Grosseltern mütterlicherseits im schweizerischen Delémont (Delsberg), wo Grossvater Theodor Wenger eine Messerfabrik betreibt. 1915 kommt Merets Schwester Kristin, 1919 der Bruder Burkhard zur Welt. Die Eltern von Meret ziehen mit den drei Kindern 1919 nach Steinen im Wiesental, wo der Vater eine Arztpraxis betreibt.

Zudem verbringt Meret viel Zeit in Carona bei Lugano, wo die Grosseltern ein grosses Haus besitzen. Hier kommt sie in Kontakt mit Künstlern wie Hugo Ball und Hermann Hesse, mit dem ihre Tante Ruth Wenger kurze Zeit verheiratet ist.

Merets Grossmutter Lisa Wenger ist eine bekannte Kinderbuchautorin (Joggeli söll ga Birli schüttle!), von der sowohl die Texte wie auch die Illustrationen stammen. Als junge Frau nimmt sie beim Basler Maler Hans Sandreuter Malunterricht und absolviert später ein Kunststudium in Paris, Florenz und an der Kunstakademie Düsseldorf. Zudem ist sie eine engagierte Frauenrechtlerin. Lisa Wenger wird für Meret Oppenheim in künstlerischen und emanzipatorischen Belangen zu einem Vorbild.

1927 lernt die Teenagerin Meret Oppenheim über ihren Vater die Theorien von Carl Gustav Jung kennen. Von da an wird sie ihr Leben lang ihre Träume aufschreiben. Zudem kommt sie in Basel in Kontakt mit Künstlern wie Irène Zurkinden, Otto Abt, Walter Bodmer und Walter Kurt Wiemken.

1930 als Schülerin verfertigt Meret Oppenheim die Collage Das Schulheft, die 1957 in der zweiten Nummer der Zeitschrift Le surréalisme même abgebildet wird. Mit dem Schulheft und der darin enthaltenen Gleichung «x = Hase» gibt sie ihrem Vater zu verstehen, dass sie der Schule den Rücken kehren möchte. 1932 ist es soweit. Meret Oppenheim beschliesst, Malerin zu werden, und verlässt das
Gymnasium anderthalb Jahre vor der Matura. Ihr Vater schlägt Paris oder München als Ausbildungsort vor. Sie entscheidet sich für Paris und lebt dort ab Mai mit ihrer besten Freundin, der Malerin und Tänzerin Irène Zurkinden. Meret besucht Ausstellungen bekannter Künstler und lernt Alberto Giacometti, Hans Arp und später Pablo Picasso und Dora Maar kennen. Es entstehen zahlreiche Zeichnungen, Objekte sowie erste Gedichte.

Simon Baur: Meret Oppenheim. Geheimnisse. Eine Reise durch Leben und Werk. Scheidegger & Spiess, Oktober 2021, 228 Seiten, 142 farbige + 29 schwarzweiss Abbildungen. Die Biografie bestellen bei Amazon.de.

Alberto Giacometti und Hans Arp besuchen Meret Oppenheim 1933 in ihrem Atelier und laden sie ein, zusammen mit den Surrealisten im Salon des surindépendants auszustellen. Bis 1937 nimmt sie an diesen Gruppenausstellungen der Surrealisten teil. Man Rays bekannte Fotografien von Meret Oppenheim an der Druckerpresse entstehen, aufgenommen im Atelier von Louis Marcoussis. Ein Jahr später lernt sie bei einem Fest von Hans Rudolf Schiess Max Ernst kennen, mit dem sie eine kurze, aber intensive Liebesbeziehung unterhält, die sie im Herbst 1934 abrupt beendet. Ab Herbst 1935 ist sie häufig mit Marcel Duchamp zusammen, eine Verbindung, die durch seine Emigration in die USA im Jahr 1942 unterbrochen wird.

Ihr Neffe Adrian Bühler sagt in einem Interview 2013 mit der Tageswoche.ch, dass seine Tante sehr frei gelebt hat. Verheiratet von 1949 bis zu seinem Tod 1967 mit Wolfgang La Roche, führte das Paar eine offene Beziehung. Zuvor hatte sie bereits Affären mit Max Ernst, Alberto Giacometti und André Breton gehabt. Auch nach nach dem Tod von La Roche 1967 hatte Meret Beziehungen, auch mit Frauen. Adrian Bühler erinnert sich, wie seine Mutter einmal nach Paris fuhr, um eine Freundin Merets aus ihrer Wohnung zu schmeissen, weil diese sie misshandelt hatte. Merets Beziehung zu Ehemann Wolfgang La Roche wird in den drei Büchern nicht untersucht, ebensowenig die lesbischen Affären der Künstlerin.

1936 beteiligt Meret Oppenheim sich an drei Gruppenausstellungen der Surrealisten. Es ensteht ihr berühmtestes Werk, Le déjeuner en fourrure. Den Titel der weltberühmten Pelztasse ersinnt André Breton, der sich dabei an Edouard Manets Déjeuner sur l’herbe anlehnt bzw. eventuell auch an die Novelle Venus im Pelz von Leopold von Sacher-Masoch aus Lemberg, von der ein Exemplar in seiner Bibliothek steht. Zusammen mit Kopf eines Ertrunkenen, dritter Zustand und Ma gouvernante – My Nurse – Mein Kindermädchen wird Le déjeuner en fourrure in der Galerie Charles Ratton ausgestellt und als Ikone des Surrealismus von Alfred H. Barr Jr. für das Museum of Modern Art in New York erworben. Zumindest einer erkannte folglich sofort die Bedeutung der Pelztasse.

Ein wenig später hat Meret Oppenheim in der Basler Galerie Maison Schulthess in der Aeschenvorstadt ihre erste Einzelausstellung, mit der die Kritiker allerdings nichts viel anfangen können. Behindert der Erfolg der Pelztasse in frühen Jahren ihre Kreativität? Von 1937 bis 1954 jedenfalls befindet sich Meret Oppenheim laut Simon Baur in einer Schaffenskrise. 1939 stellt sie allerdings noch in der Galerie von René Drouin und Leo Castelli einige Objekte sowie den Tisch mit Vogelfüssen an einer Ausstellung fantastischer Möbel aus, bei der zudem Werke von Max Ernst, Leonor Fini und Alberto Giacometti zu sehen sind.

Simon Baur zitiert zum Neuen in der Kunst von Meret Oppenheim die Worte von Hans Christoph von Tavel aus dem Ausstellungskatalog des Kunstmuseum Bern 1987 («Das Vermächtnis von Meret Oppenheim im Kunstmuseum», in: Josef Helfenstein, Hg.: Meret Oppenheim. Legat an das Kunstmuseum Bern): «Im Unterschied zu ihren meisten Zeitgenossen hat sie die Formen ihrer Aussage nicht kontinuierlich vervollkommnet, sondern hat jedes Werk aus schöpferischen Urgründen, Träumen, Assoziationen, Spielen, Gedanken neu entstehen lassen. So besteht eine wesentliche Qualität dieser Künstlerin im unerwarteten, immer wieder wechselnden Zusammenfügen und Aneinanderreihen verschiedener Materialien und Inhalte in bildnerischer und dichterischer Form. Da diese Art des Schaffens demjenigen vieler jüngerer Künstler seit den 1970er Jahren entsprach, ist Meret Oppenheim für diese nicht ein Mythos geblieben, sondern zu einer Leitfigur und zu einem Vorbild geworden.»

Dies und noch viel mehr ist bei Simon Baur in Meret Oppenheim. Geheimnisse. Eine Reise durch Leben und Werk nachzulesen. Meret Oppenheim, das ist viel mehr als nur die Pelztassse. Was für eine Künstlerin! Was für ein Leben!

Meret Oppenheim. Mon Exposition

Das Kunstmuseum Bern, das 1986 von Meret Oppenheim gemäss ihrem letzten Willen einen Drittel der Werke aus ihrem Nachlass erhielt, zeigt noch bis am 13. Februar 2022 die Ausstellung Meret Oppenheim. Mon Exposition mit über 150 Werken (Katalog). Die drei Ausstellungsmacherinnen arbeiteten dabei – neben vielen anderen Personen – mit der Nichte von Meret Oppenheim, Lisa Wenger, die in Carona lebt, wo die Künstlerin im Familiengrab liegt, zusammen. Museen, Galerien und Sammler aus aller Welt stellen Exponate zur Verfügung.

Nina Zimmer, Direktorin von Kunstmuseum Bern/Zentrum Paul Klee, Natalie Dupêcher, Associate Curator of Modern Art, The Menil Collection in Houston, sowie Anne Umland, The Blanchette Hooker Rockefeller Senior Curator of Painting and Sculpture, The Museum of Modern Art zitieren in ihrem Grusswort zurecht Meret Oppenheim mit den Worten: «Die Freiheit wird einem nicht gegeben, man muss sie nehmen.» Sie bezeichnen die Autodidaktin als eine der eigenwilligsten und vielseitigsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts, die ihre Inspiration (unter anderem ) aus Träumen schöpft, da sie überzeugt ist: «Man kann mit dem Intellekt keine Kunst machen.»

Meret Oppenheim war eine Universalkünstlerin mit beissendem Humor, die malte, zeichnete, Objekte und Collagen schuf, Masken und Kostüme herstellte, Schmuck – so für Elsa Schiaparelli – entwarf und Gedichte schrieb. Darüber hinaus setzte sie sich wie erwähnt mit ihren Träumen auseinander, die sie in ihren Aufzeichnungen festhielt. Die Ausstellungsmacherinnen unterstreichen zurecht, dass Meret Oppenheim den Dogmen und Theorien der Surrealisten nicht folgte, aber ironischerweise mit Le déjeuner en fourrure als junge Frau 1936 das Kultobjekt des Surrealismus schlechthin schuf. Die Idee zur Pelztasse kam ihr übrigens, nachdem sie zuvor ein Schmuck-Armband aus Pelz geschaffen hatte.

Später in ihrem Leben wurde Meret Oppenheim zu einer Inspiration für viele junge Künstlerinnen – und ist dies über ihren Tod hinaus bis heute geblieben.

Herausgegebenen von Natalie Dupêcher, Anne Umland, Nina Zimmer, mit zusätzlichen Beiträgen von Lee Colón und Nora Lohner: Meret Oppenheim. Mon Exposition. Kunstmuseum Bern, Menil Collection, Hirmer Verlag, 2021, 186 Seiten. Das Buch bestellen bei Amazon.de.

Meret Oppenheim. Arbeiten auf Papier

Ausstellung und Katalog Meret Oppenheim 1913-1985. Arbeiten auf Papier im Kunstmuseum Solothurn zeigen noch bis am 27. Februar 2022 rund 100 oft wenig bekannte Exponate. Die Sammlung des Kunstmuseums Solothurn alleine umfasst bereits 30 Werke von Meret Oppenheim. Die aktuelle Ausstellung spiegelt die Vielfalt der Stile und Techniken (ausgeklammert bleibt nur die Druckgrafik) ihrer innovativen Arbeiten wieder. Sie decken die Jahre von 1930 bis 1985 (ihr Todejahr) ab.

Laut Christoph Vögele misst Meret Oppenheim dem Umkreisen gleichbleibender Inhalte grössere Bedeutung bei als einer stilistischen Handschrift. Die Arbeiten auf Papier enstehen spontaner und freier, leben von Einfällen und Zufällen, und ermöglichen die Entdeckung einer tieferen, metaphorischen Ebene. Ihre assoziativen Zeichnungen gleichen den Tag- und Nachtträumen, aus denen die Künstlerin Inspiration für ihr Schaffen schöpft.

Zu den bedeutenden Leihgebern der Ausstellung gehören die Familie von Meret Oppenheim – eine Teilerbin des Nachlasses – und das Kunstmuseum Bern – eine weitere Teilerbin. Hinzu kommen die Sammlung von Christoph und Dominique Bürgi sowie mehrere bedeutende Firmensammlungen (Bank Julius Bär, Helvetia Versicherungen, Swiss Re). Erwähnenswert sind zudem Schweizer Galerien, die das Schaffen von Meret Oppenheim vertreten: Galerie Knoell in Basel, Galerie Ziegler und KARMA International in Zürich. Einzelne Blätter und kleinere Werkgruppen stammen aus weiteren Privatsammlungen. Schweizer Museen wie Aarau, Basel, Lugano (MASI), Luzern und Zug sandten ebenfalls Werke.

Der Katalog enthält vier Aufsätze zu den Arbeiten auf Papier von Meret Oppenheim. Simon Baur widmet sich dem Motiv des Vogels in ihren Werken. Katrin Steffen geht in ihrem Beitrag von direkten und indirekten, gezeichneten und geschriebenen Selbstbildnissen der Künstlerin aus. Sie wird im Februar 2022 die Leitung des Kunstmuseums Solothurn übernehmen. Christoph Vögele steuert einen Aufsatz zu Oppenheims Stilpluralismus bei. Anna Bürklis Text widmet sich der legendären Meret Oppenheim-Ausstellung in Solothurn von André Kamber, die dieser 1974 zusammen mit der Künstlerin kuratiert hat. Hinzu kommt ein Bildteil mit Abbildungen der 103 aktuell im Kunstmuseum Solothurn ausgestellten Arbeiten auf Papier. Weitere Fotos zu Leben und Werk runden den Band ab.

Christoph Vögele, Hrsg.: Meret Oppenheim. Arbeiten auf Papier. Kunstmuseum Solothurn, Scheidegger & Spiess, Oktober 2021, 188 Seiten, 133 farbige + 5 schwarzweiss Abbildungen, mit Beiträgen von Simon Baur, Katrin Steffen und Christoph Vögele. Das Buch bestellen bei Amazon.de.

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Buchkritiken vom 2. November 2021 um 22:07 Schweizer Zeit. Am 3.11.2021 um 13:41 ergänzt um Schweizer Museen als Leihgeber für „Arbeiten auf Papier“.