Michel Temer soll Brasilien reformieren. Präsidentin Rousseff vom Amt suspendiert

Mai 12, 2016 at 18:26 759

Präsident Rousseff vom Senat definitiv aus ihrem Amt entfernt (1.9.2016, 18:06)

Am 31. August 2016 hat der brasilianische Senat Präsidentin Rousseff definitiv aus ihrem Amt entfernt, weil sie das Budget illegal manipuliert haben soll. Das Gesetz sieht dafür eine Zweidrittelmehrheit vor. Diese wurde spielend übertroffen: 61 von 81 Senatoren stimmten für ihr Impeachment, 20 sprachen sich dagegen aus. Vizepräsident Temer wird bis 2018 ihren Posten übernehmen. Er ist ebenfalls in Skandale verstrickt.

In einer separaten Abstimmung entschied der Senat mit 42 gegen 36 Stimmen, Rousseff für acht Jahre von jedem öffentlichen Amt auszuschliessen.

Michel Temer soll Brasilien reformieren (12.5.2016,18:26)

Wie bereits in der englischen Ausgabe gemeldet, hat nach dem Unterhaus im April mit 367 zu 137 bei geforderten 342 Stimmen heute nun auch der 81-sitzige Senat mit 55 zu 22 für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Rousseff gestimmt. Diese wurde per sofort für 180 Tage von ihrem Amt suspendiert.

Die ganze Operation ist insofern nicht sehr glaubwürdig, als Michel Temer selbst in den Petrobras-Skandal verwickelt. Er soll von einer Baufirma $1,5 Millionen unter der Hand erhalten haben, die Bauaufträge vom halbstaatlichen Ölriesen Petrobras erhielt.

Überhaupt ist die PMDB von Michel Temer eine dubiose Partei. Laut der SZ tauchen ungewöhnlich viele ihrer Mitglieder in den Panama Papers auf. Unter ihnen ist der ebenfalls einem Impeachment-Verfahren zu Opfer gefallene Parlamentspräsident Eduardo Cunha.

Doch die PMDP steht nicht alleine da. Die Nichtregierungsorganisation Transparência Brasil hat einmal nachgerechnet, dass rund 60% der 594 Parlamentarier im brasilianischen Ober- und Unterhaus von Richtern angeklagt oder bereits verurteilt wurden. Die Vergehen reichen von Korruption bis Mord. Das Versagen, die Korruption und die Kriminalität der politischen Klasse Brasiliens ist systemisch.

Michel Temer soll Brasilien reformieren. Dabei trauen ihm die Wähler laut Umfragen noch weniger als Dilma Rousseff, der „nur“ vorgeworfen wird, mit Bilanztricks vor den letzten Wahlen die wahre Haushaltslage verschleiert zu haben, um so als Präsidentin wiedergewählt zu werden.

Das eigentliche Problem Brasiliens ist der Vertrauensverlust in die politische Klasse seit dem Petrobras-Skandal, in den Dutzende von Politikern verschiedener Parteien verwickelt sind. Dies schlägt jetzt richtig durch, weil Brasilien in einer tiefen Wirtschaftskrise steckt. 2015 sank das Bruttosozialprodukt um 3,8%. Dieses Jahr wird ein weitere Schrumpfen der Wirtschaft in gleicher Höhe erwartet. Gleichzeitig ist die Arbeitslosenrate auf über 10% angestiegen, die Inflation erreicht 10% und die Einkommen der Arbeitnehmer sind um rund 4% gefallen.

Dass Brasiliens Politiker korrupt sind, ist keine Neuigkeit. Bereits 2005 wurde der Mensalão-Skandal bekannt. Damals wurde die Arbeiterpartei (Partido dos Trabalhadores, PT) des damaligen Präsideten Lula und seiner Mitstreiterin Rousseff beschuldigt, Parlamentarier mit $12,000 pro Monat bestochen zu haben, damit sie im Sinn der PT votierten. Die Fonds stammten aus Werbebudgets von Staatsunternehmen. Die Untersuchung zeigte, dass nicht nur die PT, sondern auch andere Parteien vom Mensalão-Skandal betroffen waren. Doch nur einige Schlüsselberater von Präsident Lula mussten den Hut nehmen. Der Staatslenker selbst überlebte die Affäre ungeschoren.

Heute spricht Präsidentin Rousseff von einem Putsch. Der Vorwurf gegen sie ist sicher nicht der schlimmste, den man zur Zeit brasilianischen Politikern machen kann, doch das Verfahren hält sich an den rechtsstaatlichen Rahmen. Dilma Rousseff hätte allerdings längst wegen dem Petrobras-Skandal zurücktreten sollen. Sie will nichts damit zu tun haben. Auch wenn ihr bis heute keine Korruption nachgewiesen werden konnte, so war sie doch Staatssekretärin im Energieministerium von 1993 bis 1994 und von 1998 bis 2002. Von 2003 bis 2005 war sie Ministerin für die Minen und die Energie. Während der schliesslich erfolgreichen Präsidentschaftskampagne von Lula 2002 gehörte sie zu dessen energiepolitischen Team. Von 2003 bis 2010 war sie die Verwaltungsratsvorsitzende von Petrobras. Seit 2010 kontrolliert sie indirekt als Präsidentin des Landes, das zu zwei Dritteln den Energiekonzern besitzt, den Energiekonzern Petrobras. Ihre Regierung hat den Konzern missbraucht, um die Inflation unter Kontrolle zu halten. Alleine 2014 wurden so die Öl- und Gaspreise in Brasilien mit $19,7 Milliarden subventioniert. Und nun will Dilma Rousseff nichts mit dem Petrolão zu tun haben. Entweder ist sie total unfähig oder hat weggeschaut, oder sie war doch aktiv darin verwickelt, und es wurde nur noch kein Beweis gefunden. In jedem Fall hätte sie längst zurücktreten sollen

Von Michel Temer (*1940) und seiner neuen Regierung ist nicht viel zu erwarten. Er hat bis zum Skandal – solange es ihm und seiner Partei diente – Lula und Rousseff unterstützt. Er und seine Partei sind in den Petrolão verwickelt. Können die Staatsanwälte und Richter den brasilianischen Sauhaufen ausmisten?

Als Alternative bietet sich Marina Silva (*1958) an. Die Umweltministerin von 2003 bis 2008 und Umweltschützerin landete 2010 und 2014 mit 19% bzw. 21% auf dem ehrenwerten dritten Platz bei den Präsidentschaftswahlen. Sie scheint in keine Skandale verwickelt zu sein. Allerdings ist weniger klar, ob sie das wirtschaftspolitische Verständnis mitbringt, über das der kommende Präsident angesichts von Brasiliens tiefer Wirtschaftskrise verfügen sollte.

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Foto von Präsidentin Dilma Rousself. Palácio do Planalto / Official photograph of President Rousseff, taken by the official photographer Roberto Stuckert Filho, at Alvorada Palace on January 9th, 2011. Wikimedia.

Artikel vom 12. Mai 2016 um 18:26 Schweizer Zeit. Ergänzt um „Präsident Rousseff vom Senat definitiv aus ihrem Amt entfernt“ am 1. September 2016 um 18:06.