Rezension: Die Akte Scholz

Nov 01, 2022 at 00:03 2019

Oliver Schröm und Oliver Hollenstein legen mit Die Akte Scholz. Der Kanzler, das Geld und die Macht (Amazon.de) ein kritisches Buch zu Olaf Scholz vor, in dem es nicht nur, aber insbesondere um seine Beziehungen zur 1798 gegründeten Privatbank Warburg geht. Für ihr Buch haben die Autoren insbesondere die Tagebücher von Christian Olearius ausgewertet.

Olearius sieht sich als Opfer einer „Hexenjagd“. Nur Alpers, sein Steuerberater, die SPD-Politiker Kahrs und Pawelczyk sowie Olaf Scholz standen laut seinen Notizen auf seiner Seite.

Christian Olearius (*1942), seit 1986 bei der Bank, hat in 20 Jahren das Geschäftsvolumen der Hamburger Warburg Bank verfünffacht. Ihm obliegt die Geschäftsführung. Er hat persönlich in Schiffe investiert, seine Bank hat vielen Investoren Kredite gegeben sowie Cum-ex-Geschäfte gemacht.

Olearius verhandelte zudem für die Stadt Hamburg den Kauf von 40 000 Wohnungen aus dem gescheiterten Gewerkschaftsunternehmen Neue Heimat; er rettete das Hamburger Stahlwerk und manches mehr. Ins System der Abhängigkeiten habe er eingezahlt. Irgendwann werde der Zeitpunkt für eine Rückzahlung kommen. Für Olearius gibt es laut Die Akte Scholz keine Grenzen zwischen Geschäft und Mäzenatentum, zwischen Wirtschaft, Kultur und Politik. Bei ihm verschwimme alles zu einer Melange aus Bekanntschaft, Gefälligkeit und Abhängigkeit.

2016 und 2017 hat der damalige Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz die Warburg Bank-Gesellschafter Christian Olearius und Max Warburg insgesamt drei Mal im Rathaus empfangen, obwohl bereits 2016 Kölner Ermittlungen wegen des Verdachts der schweren Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit Cum-ex-Geschäften gegen Christian Olearius liefen. Indizien (cirucumstantial evidence) ist zwar vorhanden, doch eine Smoking Gun bezüglich Cum-ex und Olaf Scholz können die Autoren nicht vorlegen, denn der Politiker hielt und hält sich bedeckt.

Die beiden Treffen im Jahr 2016 fanden allerdings in jener Zeit statt, in der sich die Steuerbehörden überraschend zu einem Verzicht auf Cum-ex-Rückforderungen entschlossen. Olaf Scholz verweist telefonisch den Bankier mit seinem an die Finanzbeamtin Svenja Pannhusen gerichteten Schreiben an die politische Spitze der Hamburger Steuerverwaltung, an den Finanzsenator selbst. Die Sekretärin von Olearius bringt dessen Schreiben persönlich in die Finanzbehörde. So bekommt Peter Tschentscher ihn noch am selben Tag auf den Tisch, so unsere Autoren.

Sie schreiben zudem: Das Warburg-Papier landet bei der Referentin Brigitte Birkenberger. Sie unterstreicht mit einem grünen Textmarker die aus ihrer Sicht wichtigsten Passagen, etwa »Sachverhalt noch nicht ausermittelt«, »Rücknahme« und »Existenzgefährdung«. Es sind just jene Argumente, mit denen das Finanzamt später begründet, warum es die Millionen, anders als geplant, doch nicht von der Warburg Bank zurückfordert.

Die Sitzung der Beamten aus Finanzbehörde und Finanzamt für Grossunternehmen

Bei der Entscheidungsfällung gegen ein Vorgehen gegen die Warburg Bank fehlen die kritischen Betriebsprüfer Gerhard Heuer und Dagmar Meyer-Spiess, die anerkannten Fachleute Jan-Willem Bruns und Kai Siegel-Röhn, Melf Christian Volquardsen, der Referatsleiter, der das juristische Vorgehen für vertretbar hielt. Die Chefin, Angela Nottelmann, muss die Entscheidung verantworten. Als Volkswirtin verlässt sie sich beim Thema Cum-ex, so sagt sie selbst, auf die Expertise ihres Abteilungsleiters Michael Wagner. Wagner hat nach einer Lehre als Bankkaufmann Jura studiert und in der Rechtsabteilung einer Bank gearbeitet. Aus dieser Zeit kennt er Christian Olearius persönlich. Seit 20 Jahren ist er Finanzbeamter in Hamburg. Nach seiner Überzeugung muss die Stadt dafür sorgen, dass der Bankenstandort Hamburg nicht in der Bedeutungslosigkeit verschwindet. Zudem ist er skeptisch gegenüber der »Meinungsmache« zu Cum-ex in der Öffentlichkeit und wundert sich, warum die Ermittlungsbehörden aus NRW »mit dieser Härte« gegen Warburg vorgehen.

Die Sitzung der Beamten aus Finanzbehörde und Finanzamt für Grossunternehmen beginnt mit einem Vortrag von Svenja Pannhusen. Weil die Betriebsprüfer nicht eingeladen wurden, ist sie die Einzige, die den Fall näher kennt. Anders als in ihrem Gutachten spricht Pannhusen in der Sitzung nicht mehr über die zahlreichen Indizien gegen Warburg. Ihren Sinneswandel erklärt sie mit einer E-Mail der Wirtschaftsprüfer von Deloitte. Diese agierten im Auftrag der BaFin und zweifelten die Rechtmäßigkeit der Steuererstattung massiv an. Doch Pannhusen liest die Mail anders: Auch Deloitte habe offenbar keine Beweise für ein Cum-ex-Geschäft und wolle noch weiter ermitteln. In der Folge stellt sich danach niemand in der Sitzung hart hinter eine Rückforderung, so unsere zwei Autoren.

Es gibt noch kein klares höchstrichterliches Urteil zu Cum-ex-Geschäften. Doch eine Reihe von Gerichten hat in erster Instanz bereits Cum-ex-Urteile gesprochen, die allesamt im Sinne der Finanzverwaltung waren. In anderen Bundesländern greift man auf diese Urteile zurück und folgt der Regel: Im Zweifel müssen die Steuerpflichtigen bei Cum-ex-Geschäften beweisen, dass die Steuern, die sie zurückerstattet bekommen möchten, vorher auch gezahlt wurden. So hatte ursprünglich ja auch Svenja Pannhusen argumentiert. Noch viel mehr Details sind im Buch (Amazon.de) zu finden. Die Warburg-Bank bleibt Cum-ex-Profiteur.

Es wurde kein Protokollant bestimmt. Alle Sitzungsteilnehmer unterschreiben und bestätigen damit, das Ergebnis zu Gunsten der Bank und zu Lasten des Steuerzahlers mitzutragen. Damit nämlich wird die Verantwortung vergemeinschaftet – und löst sich so quasi auf, halten Oliver Schröm und Oliver Hollenstein fest. Pannhusen schreibt nachträglich ein Protokoll und teilt das Ergebnis der Sitzung brühwarm Olearius mit, der an jenem Abend in seinem Tagebuch notiert, Pannhusen habe empfohlen, Ruhe zu bewahren.

Finanzsenator Peter Tschentscher nimmt Ende 2016 in Kauf, dass Hamburg mutmassliche Steuerbetrüger mit ihrer Millionenbeute entkommen lässt, so Oliver Schröm und Oliver Hollenstein.

Alfons Pawelczyk und Johannes Kahrs

Zurück zu Die Akte Scholz. Dort ist zu lesen, die Hamburger Finanzverwaltung liess im Dezember 2016 eine ursprünglich geplante Rückforderung von 47 Millionen Euro an die Warburg-Bank wegen zu unrecht erstatteter Kapitalertragssteuern verjähren. Eine zweite Forderung über zusätzliche 43 Millionen Euro war Ende 2017 kurz vor der Verjährung auf Weisung des Bundesfinanzministeriums von Finanzminister Schäuble erhoben worden, nachdem die Hamburger Finanzverwaltung zuvor versucht hatte, die Weisung abzuwenden.

Die Autoren schreiben, dass bereits fünf Wochen vor dem Treffen von Christian Olearius und Max Warburg mit Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz eben dieser von Alfons Pawelczyk aufgesucht worden war, der in den 1980er-Jahren Innensenator und unter Klaus von Dohnanyi zeitweise Zweiter Bürgermeister gewesen war. Pawelczyk wird im Buch als graue Eminenz der SPD beschrieben. Der ehemalige Polizist und Offzier werde halb bewundernd, halb ängstlich „General“ genannt. Laut Oliver Schröm und Oliver Hollenstein ist Alfons Pawelczyk die Verkörperung der Hamburger SPD: in vielen Punkten fast konservativer als die CDU und ohne Scheu vor engen Kontakten zur Wirtschaft. Nach seiner Karriere arbeitete er für Daimler Benz, danach als Berater. Seine grosse Stärke sei das Strippenziehen.

Laut unseren Autoren schätzt Christian Olearius Alfons Pawelczyk und seine Kontakte. Der SPD-Mann berät ihn seit Jahren, fädelt Deals ein und verlangt und erhält dafür auch mal eine halbe Million Euro. Nach dem halbstündigen Treffen zwischen Olaf Scholz und Alfons Pawelczyk berichtet der Strippenzieher Olearius: Scholz gehe der Sache nach, die Eilbedürftigkeit sei bekannt.

Beim späteren Treffen zwischen dem Hamburger Bürgermeister und Olearius sagt der Bankier, an den Cum-ex-Vorwürfen sei nichts dran, die Bank werde vollumfänglich mit den Behörden kooperieren. Olaf Scholz lässt sich Cum-ex erklären und betont, er halte dies für illegal. Der Bürgermeister hält sich zurück. Das sei seine Masche, so unsere Autoren. Für die Gesprächspartner bleibe so unklar, welche Schlüsse er daraus ziehe und ob er würde aktiv werden. Eines ist klar, die Bank Warburg musste am Ende viele Cum-ex-Millionen nicht zurückzahlen.

Unsere Autoren notieren: Kahrs lobbyiert für die Bank auf Bundesebene, während Pawelczyk sich um Scholz kümmert. Details dazu im Buch.

Olaf Scholz tut so, als könnte er kein Wässerchen trüben. Der Stern-Chefredakteur Gregor Peter Schmitz hingegen sagte im ZDF bei Markus Lanz, dass Co-Autor Oliver Schröm aus dem Umfeld des Kanzleramtes persönlich diskreditiert werde. Konkret gemeint ist Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt, so N-TV am 11. Oktober 2022.

Im Buch ist dazu unter anderem zu lesen, Wolfgang Schmidt unterstellte den Autoren Falschbehauptungen und verzerrte Darstellungen, er schreckte vor Diffamierungen nicht zurück. Er versuchte mit »Verwirrung durch Komplexität« die Texte zu verhindern oder zu verwässern. Doch die Methode Schmidt funktioniert nicht mehr. Die Chefredakteure haben sich nicht beirren lassen.

In Die Akte Scholz. Der Kanzler, das Geld und die Macht (Amazon.de) lernt man unter anderem, dass ein weiterer Verbündeter der Warburg Bank Johannes Kahrs ist. Dieser ist haushaltspolitischer Sprecher der SPD im Bundestag, Vorsitzender des mächtigen, rechten Flügels der SPD-Bundestagsfraktion, dem sogenannten Seeheimer Kreis. Er ist zudem der Chef des einflussreichsten Hamburger SPD-Bezirks. In Hamburg gilt er laut Oliver Schröm und Oliver Hollenstein als mächtigster Genosse neben Olfa Scholz. Kahrs kennt Pawelczyk gut: Von 1989 bis 1991 war er sein Persönlicher Referent. In derselben Zeit war Kahrs auch Vorsitzender der Burschenschaft Wingolfsbund, deren Mitglied auch Olearius ist. Als Pawelczyk die beiden 2014 miteinander bekannt machte, notierte Olearius noch am selben Abend in sein Tagebuch: Kahrs sei Bundesbruder, könne vielleicht von Nutzen sein.

Zu Johannes Kahrs ist in Die Akte Scholz zudem zu lesen, dass neben seinem Talent im Netzwerken früh auffiel, dass er es exzellent versteht, Parteispenden zu generieren. Als er in den Zweitausenderjahren im Verteidigungsausschuss sass, erhielt sein Kreisverband mehrfach Zuwendungen deutscher Rüstungsfirmen. Die Summen lagen immer eine Haaresbreite unter der Grenze von 10 000 Euro – und mussten so nicht mit Angabe des Spendernamens und dessen Anschrift veröffentlich werden.

Die Familie Warburg

Zur Familie Warburg notieren unsere Autoren: Ursprünglich aus Venedig stammend, nahmen die Vorfahren der Bankiers den Namen der westfälischen Hansestadt Warburg an. Ab 1798 bauten die Brüder Moses Marcus und Gerson Warburg in Hamburg das Bankhaus M. M. Warburg & Co. auf. Später stiegen die Warburgs zu einer der bedeutendsten Familien des jüdischen Bürgertums auf: Aby Warburg gilt als einer der bedeutendsten Kunsthistoriker des 20. Jahrhunderts; Paul Warburg zählte zu den Urvätern der US-Notenbank; Sir Siegmund George Warburg gründete das Investmenthaus S. G. Warburg & Co., das in der heutigen Schweizer Großbank UBS aufging; in New York findet sich noch heute die Investmentbank Warburg Pincus, gegründet von Eric Warburg, einem engen Freund des früheren SPD-Kanzlers Helmut Schmidt. Nach wie vor ist das Anwesen der Warburgs in Blankenese ein Treffpunkt der besseren Gesellschaft. Hier war auch Olaf Scholz als Bürgermeister zu Gast.

Dies sind nur einige wenige Angaben aus einem kritischen, 391-seitigen Buch zu Olaf Scholz, dessen Lektüre sich lohnt, auch wenn, wie oben erwähnt, der Beweis fehlt, dass der damalige Hamburger Bürgermeister direkt zu Gunsten der Warburg Bank und zu Ungunsten der Hamburger Steuerzahler eingeschritten ist. Dass dem zumindest indirekt dennoch so ist, liegt nahe. Laut Umfragen hält eine Mehrheit der Deutschen den heutigen Kanzler bezüglich Cum-ex für unglaubwürdig. Olaf Scholz kann sich bezüglich dieser Affäre an vieles nicht erinnern, doch dass er alles richtig gemacht hat, das weiss er mit Bestimmtheit.

Oliver Schröm, Oliver Hollenstein: Die Akte Scholz. Der Kanzler, das Geld und die Macht, Ch. Links Verlag, Oktober 2022, 391 Seiten. Das Buch bestellen als Paperback, Kindle eBook oder Hörbuch bei Amazon.de.

Oliver Schröm Schröm arbeitete für den Stern, das ARD-Magazin Panorama und gehört zu den Mitentwicklern des Recherche-Netzwerks Correctiv. Zu seinen Enthüllungsbüchern gehören Publikationen zu den „Panama-Papers“, zum Dschihadismus, zu Al Qaida, zur NSU-Affäre, zum Wettbetrug im Profifussball.

Siehe zu Olaf Scholz zudem die Biografie von Lars Haider, zu Cum-Ex das Buch von Massimo Bognanni.

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Zitate und Teilzitate in dieser Rezension / Buchkritik von Die Akte Scholz. Der Kanzler, das Geld und die Macht (Amazon.de) sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlussszeichen gesetzt.

Buchkritik / Rezension vom 1. November 2022 um 00:03 deutscher Zeit. Infos zu Wolfgang Schmidt ergänzt um 09:13.