Zur offiziellen Wiedereröffnung der Villa Flora am 23. März 2024 erschien der Band Kunstmuseum Winterthur. 200 Meisterwerke (Hirmer Verlag, März 2024, 300 Seiten. Cookies akzeptieren um direkt zur entsprechenden Amazon-Seite zu kommen – wir erhalten eine Kommission: Amazon.de).
Darin erläutern der Direktor des Kunstmuseums Winterthur Konrad Bitterli und die Sammlungschefin und Kuratorin Andrea Lutz, dass 2017 das städtische Winterthurer Parlament ein neues Museumskonzept verabschiedete. Damals wurde entschieden, die drei Institutionen – das Kunstmuseum Winterthur, das Museum Oskar Reinhart und die Villa Flora – in der Verantwortung des Kunstvereins Winterthur zusammenzuführen.
Vorausgegangen war 2016 die vollständige Integration des erst 1970 eröffneten Museums Briner und Kern ins damalige Museum Oskar Reinhart, dessen Direktion zuvor bereits für deren Kollektionen verantwortlich gewesen war. Zudem hatte der Kanton Zürich seine Zuschüsse im Hinblick auf die Zusammenlegung substanziell erhöht. Seit 2018 sind die drei Museen als Kunst Museum Winterthur organisiert – allerdings zu Beginn noch ohne die Villa Flora, die einer umfassenden Sanierung unterzogen werden musste.
Die Zusammenführung konnte nun offiziell am 23. März 2024 mit der Wiedereröffnung der Villa Flora gefeiert werden. Sie ist das Resultat einer gemeinschaftlichen Anstrengung des Kunstvereins Winterthur, der Stadt Winterthur und des Kantons Zürich. Nicht zu vergessen sind natürlich die Stiftung Oskar Reinhart, die Hahnloser/Jaeggli Stiftung, der Galerieverein, Freunde Kunst Museum Winterthur, die Freunde der Sammlungen Reinhart, Briner und Kern sowie der Verein Freunde der Villa Flora.
Der Umbau und die Sanierung des Museumsgebäudes kostete rund 11 Millionen Schweizerfranken. Finanziell engagiert waren dabei die Denkmalpflege des Bundes und des Kantons Zürich, der Lotteriefonds des Kantons Zürich, die Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte sowie die Hahnloser/Jaeggli Stiftung.
Die Mäzene der Sammlung, die Sponsoren von Ausstellungen und Vermittlungsprogrammen sowie die Förderer der vorliegenden Sammlungspublikation heissen Dr. Werner Greminger Stiftung, die Freunde der Sammlungen Reinhart, Briner und Kern, die Stiftung Oskar Reinhart, der Verein Freunde der Villa Flora und die Hahnloser/Jaeggli Stiftung.
Matthias Frehner kuratierte 2020 in der Albertina in Wien die Ausstellung Van Gogh, Cézanne, Matisse, Hodler: Die Sammlung Hahnloser mit rund 120 Hauptwerken des Sammlerehepaars. Im Katalog zur damaligen Schau (Hirmer Verlag, 288 Seiten, Cookies akzeptieren und bestellen bei Amazon.de) schrieb Matthias Frehner, dass die Sammlung Hahnloser von Arthur Hahnloser (1870–1936) und seiner Ehefrau Hedy Hahnloser-Bühler (1873–1952) primär zwischen 1907 und 1936 aufgebaut wurde, und zwar mit direktem Kontakt zu Gegenwartskünstlern wie Pierre Bonnard, Ferdinand Hodler, Henri Matisse und Félix Vallotton; Bonnard und Vuillard machten übrigens die Hahnlosers auf Odilon Redon aufmerksam, so Matthias Frehner. 1908 erwarb das Winterthurer Sammlerehepaar von Odilon Redon als erstes Werk Le rêve (La pensée), das in der aktuellen Ausstellung in der Villa Flora ausgestellt ist.
Konrad Bitterli erläutert in einem Essay in Kunstmuseum Winterthur. 200 Meisterwerke (Amazon.de), dass sowohl Hedy Hahnloser-Bühler als auch Arthur Hahnloser Winterthurer Textilfamilien entstammten. Arthurs Vater war Textilkaufmann, Hedys Vater betrieb in der Region Winterthur mehrere Spinnereien. 1898, nach Arthurs Studium der Medizin und der Ausbildung zum Augenarzt, heirateten die beiden und liessen sich in der Villa Flora nieder, die zuvor von den Grosseltern Bühler bewohnt worden war. In den unteren Räumen betrieb das Paar bis 1908 eine Augenklinik mit Operationssaal, Konsultations- und Patientenzimmern.
Laut Konrad Bitterli hatte Hedy Bühler zuvor in der Zeichenschule für Industrie und Gewerbe in St. Gallen und in der Malschule in Gauting bei München studiert. In München verkehrte sie im Umfeld des Blauen Reiters. Nach ihrer Rückkehr und Heirat unterstützte Hedy ihren Gatten bei Aufbau und Führung der Augenklinik. 1899 und 1901 kamen der Sohn Hans und die Tochter Lisa zur Welt.
Konrad Bitterlin schreibt, dass die Villa Flora ab 1905 zum Treffpunkt einer kleinen Gesellschaft von Kunstfreunden wurde, die sich zum legendären «Revolutionscafé» bei den Hahnlosers trafen, um sich über moderne Kunst und Architektur auszutauschen. Dem Kreis gehörten zahlreiche Persönlichkeiten des Kulturlebens an, darunter der Architekt Robert Rittmeyer, Jules de Praetere, Direktor der Kunstgewerbeschule Zürich, und Richard Bühler, der Textilindustrielle, spätere Präsident des Kunstvereins, Gründungspräsident des Galerievereins und Cousin von Hedy. Gemeinsam mit anderen aufgeschlossenen Kunstfreunden waren sie 1907 massgeblich daran beteiligt, die alte Garde im Vorstand des Kunstvereins in einer Art „Palastrevolution“ abzulösen und die Ausrichtung der Sammlung auf die französische Moderne zu befördern. Laut Konrad Bitterlin bestimmte das Ehepaar Hahnloser mit der Unterstützung von Richard Bühler jahrelang die Geschicke des Kunstvereins Winterthur.
Mit der Ausstellung Bienvenue! Meisterwerke von Cézanne, van Gogh und Manet feiert die Villa Flora vom 23. März 2024 bis am 5. Januar 2025 ihre Wiedereröffnung. Dabei sind 69 der rund 400 Werke der heutigen Sammlung zu sehen, die Gemälde, Zeichnungen, Aquarelle, Skulpturen und druckgrafische Arbeiten umfasst, wobei die Sammlung Hahnloser einst noch umfassender und bedeutender war. Unter den 69 zur Zeit in der Villa Flora ausgestellten Werken sind einige, die sich in privater Hand befinden. Nicht zu sehen und ebenfalls in Privatbesitz ist das 2020 in der Albertina ausgestellte Stillleben Äpfel mit einer Schale (Ölgemälde, 1888) von Paul Gauguin und das Stillleben mit angeschnittener Wassermelone (Aquarell und Bleistift auf Papier, um 1900) von Paul Cezanne, das sich heute in der Fondation Beyeler in Riehen/Basel befindet. Die zwei Stillleben hatten Hedy und Arthur Hahnloser 1909/10 bzw. 1914 in der Galerie Thannhauser in München erworben. Sie gehören zu meinen Lieblingswerken der Sammlung Hahnloser. Vielleicht werden sie später einmal in einer Wechselausstellung zu bewundern sein.
Ab 1908 reiste das Ehepaar Hahnloser regelmässig nach Paris, wo es zahlreiche Künstler kennenlernte und im Verlauf der Jahre Freundschaften schloss. Die Künstler wiederum besuchten die Hahnlosers in Winterthur, porträtierten die Familie und malten Haus und Garten. Später verbrachte das Ehepaar Hahnloser die Winter regelmässig an der Côte d’Azur, wo sich in der Zwischenzeit zahlreiche ihrer Künstlerfreunde niedergelassen hatten.
Frauen waren Anfang des 20. Jahrhunderts noch nicht im Vorstand des Kunstvereins zugelassen. Hedy Hahnloser-Bühler wirkte daher im Hintergrund. Sie prägte die Sammlertätigkeit des Ehepaars entscheidend, vermittelte französische Kunst an zahlreiche Winterthurer Sammler, betätigte sich nebenbei als Kunstgewerblerin und verfasste Kunstkritiken, Essays sowie eine 1936 veröffentlichte Monografie mit Werkverzeichnis von Félix Vallotton. Nicht zuletzt dank ihrem weitreichenden Engagement für die Kunst und ihrer unermüdlichen Vermittlungsarbeit entwickelte sich Winterthur zum Ort für die französische Moderne.
Konrad Bitterli unterstreicht zudem, dass der Ausgangspunkt für die Sammlungstätigkeit des Ehepaars Hahnloser die damals aktuellen Schweizer Künstler Ferdinand Hodler, Giovanni Giacometti und Cuno Amiet waren. Die Hahnloser besuchten gar Giovanni Giacometti in seinem Bündner Heimatdorf Stampa. Bald rückte allerdings die brandneue Kunst der Nabis und der Fauves in den Vordergrund: Pierre Bonnard, Edouard Vuillard und Félix Vallotton, dessen Hauptwerk La Blanche et la Noire (1913) sie erwarben. Das Werk ist in der Ausstellung Bienvenue! Meisterwerke von Cézanne, van Gogh und Manet zu bewundern. Der seit 1903 in Paris lebende Maler Carl Montag war für die Neuorientierung der Sammler wichtig. Neben den Nabis und den Fauves sammelten die Hahnlosers Werke von Aristide Maillol – zwei seiner Skulpturen stehen heute im Garten der Villa Flora an ihrem ursprünglichen Platz -, Henri Matisse und Albert Marquet. Eine umfangreiche Erbschaft ermöglichte dem Sammlerehepaar zudem, bedeutende Werke von kunsthistorisch relevanten Vorläufern der Nabis und Fauves wie Odilon Redon, Paul Cezanne und Vincent van Gogh zu erwerben. Von van Gogh sind in der in der Wiedereröffnungsausstellung der Villa Flora vier Werke zu sehen, darunter Le Semeur (1888) und Le Café de nuit à Arles (1888).
Als begeisterte Kunsthandwerkerin hatte Hedy Hahnloser einst alle Tapeten, Vorhänge und anderen Stoffe der Villa Flora selbst entworfen. Das Sammlerehepaar gestaltete nach der Auslagerung der Augenklinik aus der Villa Flora im Jahr 1907 mit ihrem Freund, dem Architekten Robert Rittmeyer (Architekturbüro Rittmeyer & Furrer), und ihrem Cousin Richard Bühler die Villa Flora mit dem zugehörigen Garten nach den damals modernsten Ideen, die austrahlten und 1916 zum Bau des Kunstmuseums Winterthur führten. Die Villa Flora wurde in späteren Jahren, so 1927, weiter umgebaut und auf die Präsentation von Kunstwerken ausgerichtet.
1936 verstarb Arthur Hahnloser überraschend. Die Sammlungstätigkeit endete. Nach dem Tod von Hedy Hahnloser 1952 wurden die Werke der Kollektion unter den beiden Kindern aufgeteilt. In den vergangenen Jahren haben deren Erben rund 400 Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen und druckgraphische Blätter in die 1980 gegründete Hahnloser/Jaeggli Stiftung eingebracht, um sie in der Villa Flora, am Ort der Entstehung der Sammlung, der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen, was zum Teil bereits ab 1995 bis 2014 der Fall war. Danach wurde das Museum geschlossen und die Sammlung in verschiedenen Museen in Europa gezeigt, unter anderem wie oben erwähnt in der Albertina in Wien. Ein ehemaliger Wohntrakt ist erst seit der Neueröffnung 2024 dem Publikum zugänglich.
Für englischsprachige Leser: Albrecht Schröder, Matthias Frehner, ed.: Van Gogh, Cézanne, Matisse, Hodler: The Hahnloser Collection. Hirmer, Albertina, 2020. Order the English edition of the book from Amazon.com, Amazon.co.uk, Amazon.de.
Nebenbei bemerkt: Cezanne schrieb seinen Namen und signierte ohne accent aigu, auch wenn dies französische Museen und Medien jahrzehntelang anders pflegten.
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Rezension / Buchkritik / Ausstellungskritik vom 5. April 2024 um 16:53 deutscher Zeit.