Die Moskau-Connection

Apr 17, 2023 at 21:26 902

Wer sich für umtriebige SPD-Politiker und ihre dubiosen Verbindungen zu Putins Russland interessiert, kommt an Die Moskau-Connection. Das Schröder-Netzwerk und Deutschlands Weg in die Abhängigkeit (Amazon.de) von Reinhard Bingener und Markus Wehner nicht vorbei.

Dieses herausragende Buch umfasst im Kern die Zeit von Gerhard Schröders Wahl zum Kanzler 1998 bis zur Putins Eskalation des Angriffs auf die Ukraine 2022. Darüber hinaus beschreiben die Autoren im ersten Kapitel Gerhard Schröders Aufstieg, seine politische Ideenwelt sowie die Entstehung seines Netzwerks in Hannover, wo bereits einige Strukturen der späteren Moskau-Connection angelegt sind. Im zweiten Kapitel erklären Reinhard Bingener und Markus Wehner die Entwicklung Putins und seines Herrschaftssystems, für das Gas und Gewalt von Anbeginn eine zentrale Bedeutung haben. Im dritten Kapitel schildern sie die Geschichte der Entspannungspolitik, die sie als sozialdemokratischen Mythos bezeichnen bzw. entlaren, der in der deutschen Öffentlichkeit noch immer starke Resonanz findet und für Schröders Russlandpolitik ausgebeutet wurde. Das vierte Kapitel erzählt die Geschichte der deutschen Gasversorgung, mit dem Hauptfokus auf den gaswirtschaftlichen Beziehungen zu Moskau. In den folgenden Kapiteln werde diese Informationen zu einem Handlungsstrang bezüglich der Jahre von 1998 bis 2022 verwoben.

Der Aufstieg von Gerhard Schröder, die DDR und Moskau

Als junger Mann habe sich Gerhard Schröder instinktsicher auf sein persönliches Fortkommen konzentriert. Im Ringen der drei Juso-Hauptströmungen «Reformsozialisten», «Antirevisionisten» und «Stamokap» habe er zur Mittelgruppe der «Antirevisionisten» gehört.

In wechselnden ideologischen und personellen Bündnissen habe Gerhard Schröder sich Ebene um Ebene nach oben gearbeitet. 1978 wurde er so in einem Bündnis mit dem extrem linken «Stamokap»-Flügel zum Bundesvorsitzenden der Jusos gewählt. In Hannover gelang ihm über ein Direktmandat der Sprung in den Bundestag. Ziemlich abrupt habe er die umstürzlerischen Ideen der Jusos fallengelassen und nun wohlwollender über Bundeskanzler Helmut Schmidt gesprochen. Dieser Kurswechsel sei von manchen seiner vormaligen Unterstützer als Verrat empfunden worden.

Das eingängige Image eines elastischen Pragmatikers mit klarem Blick für die Realität, von ideologischen Scheuklappen freigemacht, korrigieren Reinhard Bingener und Markus Wehner an einer entscheidenden Stelle: Im Bereich der Aussenpolitik seien bei Gerhard Schröder keine tiefgreifenden Wendungen zu erkennen gewesen. Vielmehr sehen die Autoren eine erstaunliche Kontinuität bei Schröders Sympathie und Interesse für Moskau, nicht für Washington. Er habe stets virtuos auf der Klaviatur des latenten Antiamerikanismus innerhalb der SPD und der deutschen Gesellschaft zu spielen gewusst. In die Sowjetunion sei Gerhard Schröder erstmals Mitte der 1970er Jahre gereist. 1978 habe der die Jusos auf dem Kongress der sowjetischen Staatsjugend im Grossen Kremlpalast vertreten. In einem Gastbeitrag für die Komsomolskaja Prawda unterstützte er damals die sowjetische Kritik an den amerikanischen Rüstungsplänen in Westeuropa. Im März 1980 und im Januar 1982 unternahm er weitere Reisen nach Moskau und fiel mit einer unkritischen Nähe zu sowjetischen Positionen auf. Er habe damals die deutsche Entscheidung, als Reaktion auf den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan gemeinsam mit den Vereinigten Staaten die Olympischen Spiele in Moskau zu boykottieren, kritisiert. Als Bundestagsabgeordneter gehörte er zu den Gegnern des Nato-Doppelbeschlusses. Gerhard Schröder habe 1981 angesichts des amerikanischen Führungsanspruchs im westlichen Militärbündnis sogar eine Distanzierung der Bundesrepublik von Washington sowie gemeinsam mit 23 weiteren SPD-Abgeordneten gefordert, eine Milliarde Mark aus dem Verteidigungshaushalt in die Entwicklungshilfe umzuleiten.

Im Landtagswahlkampf 1986 sei Gerhard Schröder deutlich nach rechts gerückt, um in Niedersachsen mehrheitsfähig zu werden. Dem 42-Jährigen gelang zwar die Ablösung von Ministerpräsident Albrecht nicht, doch die Zeit habe er auf seiner Seite gehabt und sie genutzt sie, um seine innerparteiliche Position zu festigen und weiter an seinem Image zu feilen.

Die Eckpfeiler seiner Strategie seien bereits damals erkennbar gewesen, so Reinhard Bingener und Markus Wehner: Gehard Schröder habe sich nach dem Vorbild von Willy Brandt mit zeitgenössischen Künstlern und Schriftstellern präsentiert, soll Freund der Künste und der Kultur, um so die Position der SPD im bildungsorientierten und progressiven Bürgertum zu festigen.

Mit seinem Bündnis mit dem Boulevard habe Gerhard Schröder auf ein breiteres Publikum gezielt. Dazu gehörte die öffentlich zur Schau gestellte dritte Ehe mit Hiltrud «Hillu» Hampel. Damals seien Parallelen zu den Kennedys gezogen worden und später sei von den «Clintons von Hannover» die Rede gewesen [ich: haha!].

Mit markigen Aussagen und vertraulichen Informationen habe Gerhard Schröder die Politikjournalisten bei Laune gehalten. Die Autoren benennen in Die Moskau-Connection (Amazon.de) insbesondere mit Beispielen Jürgen Leinemann vom Spiegel als einen der wohlwollend gestimmten publizistischen Begleiter.

Gerhard Schröder sagte in den 1980er Jahren, im Falle seiner Wahl zum Ministerpräsidenten werde er die Zentrale Erfassungsstelle Salzgitter (ZESt) abschaffen. Die SPD-regierten Länder Saarland und Nordrhein-Westfalen zogen sich 1988 aus der ZESt-Finanzierung zurück. Unsere Autoren betonen, Schröders Versprechen einer Abschaffung habe besondere Sprengkraft besessen, da der niedersächsische Justizminister der Dienstherr der ZESt-Staatsanwälte gewesen sei. Bei seinen Ost-Kontakten habe sich Gerhard Schröder schon damals bereit gezeigt, die Verteidigung der Bürgerrechte gegen ein besseres Verhältnis zu den dortigen Machthabern einzutauschen.

Gerhard Schröders Deutschlandpolitik sei auch sonst zwar von einer steten Reisetätigkeit, aber von wenig Weitsicht geprägt gewesen. Nach einem DDR-Besuch 1987 habe er ein Diktum Egon Bahrs auf genommen und die Hoffnung auf eine Wiedervereinigung Deutschlands eine «Lebenslüge» genannt. Als die deutsche Einheit drei Jahre später zum Greifen nah war, habe Gerhard Schröder seinen Landtagswahlkampf mit sozialpopulistischen Ressentiments gegen die Bürger der DDR bestritten: Die finanziellen Hilfen für die Menschen im Osten dürften nicht dazu führen, dass «am sozialen Netz der Bundesrepublik gerüttelt wird»; die Ostdeutschen sollten sich «selbst krummlegen». In einer Landtagrede forderte er gar, «der Zustrom von Übersiedlern» müsse «gestoppt» werden. Zudem trat er für eine Befra-gung der Westdeutschen zur Einheit ein, «da es nicht sein kann, dass 16 Millionen DDR-Bürger bestimmen, was die restlichen 60 Millionen zu tun haben».

Trotz oder wegen solcher Aussagen gewann Gerhard Schröder die Landtagswahl am 13. Mai 1990 mit 44,2% der Stimmen, bildete eine Koalition mit den Grünen und wurde Ministerpräsident. Unsere Autoren unterstreichen, eine seiner ersten Entscheidungen habe darin bestanden, dass Niedersachsen im Bundesrat zusammen mit dem ebenfalls sozialdemokratisch geführten Saarland als einziges Bundesland gegen die Ratifizierung des ersten Staatsvertrags auf dem Weg zur Wiedervereinigung stimmte.

Anders als die meisten SPD-Politiker, die wie Helmut Kohl die Chance auf eine rasche Wiederherstellung der deutschen Einheit nutzen wollen, setzte Gerhard Schröder zusammen mit dem saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine darauf, den Prozess zu verzögern. Die erste Auslandsreise als Ministerpräsident führte den Niedersachsen im Februar 1991 sogleich wieder nach Moskau, wo er kurz vor dem Fall der Mauer im Herbst 1989 schon mit Egon Bahr war. Besonders im Fokus war dabei die erdöl- und erdgasreiche Region Tjumen im Westen Sibiriens, mit der das Land Niedersachsen 1992 eine Partnerschaft einging.

Laut Reinhard Bingener und Markus Wehner markierte der Einzug in die Staatskanzlei im Sommer 1990 den eigentlichen Beginn von Gerhard Schröders Netzwerk. Als Ministerpräsident hatte er viel mehr Möglichkeiten als bisher, Posten zu besetzen und Karrieren zu beschleunigen. In seinem Umfeld tauchten nun allmählich die Namen auf, die später für die deutsche Energie- und Russlandpolitik relevant wurden: Der junge DGB-Referent Alfred Tacke, der bereits ein Jahr später Staatssekretär im niedersächsischen Wirtschaftsministerium wurde und laut Beobachtern der damaligen Landespolitik Wirtschaftsminister Peter Fischer als starken Mann im Ministerium ablöste, da er, Alfred Tacke, den dirkten Draht zu Ministerpräsidenten besass. Weitere Personen der Moskau-Connection, bedeutsam für die spätere deutsche Russlandpolitik waren zwei junge Juristen, die 1991 nach Hannover zogen: Brigitte Zypries und Frank-Walter Steinmeier. Laut unseren Autoren hatten die zwei in den 1980er Jahren gemeinsam für die juristische Fachzeitschrift Demokratie und Recht gearbeitet, die damals vom Verfassungsschutz beobachtet wurde, weil sie im Pahl-Rugenstein-Verlag erschien, der massgeblich von der DDR finanziert wurde und 1989 mit dem SED-Regime unterging. Schröder und Steinmeier ergänzten sich: Schröder besass den Spürsinn für Stimmungen und hatte Charisma, Steinmeier beherrschte den Umgang mit Akten und Details, die sein Chef eher vernachlässigt. Zusammen mit Gerhard Schröders Büroleiterin Sigrid Krampitz und Alfred Tacke bildeten Brigitte Zypries und Frank-Walter Steinmeier den engsten politischen Zirkel um den Ministerpräsidenten, der Schröder später auch nach Berlin begleiten sollte.

Reinhard Bingener und Markus Wehner erwähnen in Die Moskau-Connection. Das Schröder-Netzwerk und Deutschlands Weg in die Abhängigkeit (Amazon.de) einen weiteren Vertrauten Schröders, der 1998 von Hannover nach Berlin wechselte: Heino Wiese. Sein Name tauche in keiner der einschlägigen Schröder-Biografien auf. Der 1952 geborene Sozialdemokrat habe Schröder 1982 beim Skat und der berühmten Currywurst in der Gaststätte Plümecke kennengelernt. Von 1990 bis 2003 sei Heino Wiese Geschäftsführer des SPD-Bezirks Hannover sowie Landesgeschäftsführer der niedersächsischen SPD gewesen und habe damit weitgehende Kontrolle über die Parteizentrale ausgeübt. Gemeinsam mit Michael Kronacher, dem Chef der nur wenige Häuser weiter befindlichen Werbeagentur Odeon Zwo, habe Heino Wiese die Wahlkämpfe Schröders gemanagt. Er habe sich ein einzigartig dichtes Netz innerhalb des niedersächsischen Landesverbands aufgebaut. Zu den engsten Vertrauten von Heino Wiese zählten neben dem späteren Kanzler zudem Sigmar Gabriel, Stephan Weil und Lars Klingbeil. Laut dem niedersächsischen FDP-Politiker Stefan Birkner soll Heino Wiese der eigentliche «Manager der Moskau-Connection» innerhalb der SPD gewesen sein, schreiben unsere Autoren.

Der weitere Kreis um Gerhard Schröder: «Frogs» und mehr

Laut Reinhard Bingener und Markus Wehner bildeten die «Frogs» («Friends of Gerhard Schröder») den bekanntesten Kreis um Gerhard Schröder. Im Zentrum sei lange der Hannoveraner Rechtsanwalt Götz von Fromberg gestanden. Er kannte Gerhard Schröder aus der Referendarszeit. Später wirkten beide jahrelang in einer Bürogemeinschaft zusammen. Götz von Fromberg sei eine schillernde Figur: Als Rechtsanwalt habe er auffällig oft Mandanten aus dem Milieu vertreten, allen voran den Rockerboss Frank Hanebuth von den «Hells Angels», die damals unter anderem den Rotlichtbezirk Hannovers kontrollierten.

Zu den «Frogs» zählen die Autoren ferner Manager und Unternehmer wie den AWD-Gründer Carsten Maschmeyer, den Sartorius- und späteren EnBW-Vorstandsvorsitzende Utz Claassen, VW-Vorstand Peter Hartz oder den Preussag-Vorstandsvorsitzende Michael Frenzel.

Einige Monate vor der Landtagswahl 1998 beabsichtigte Michael Frenzel, die Stahlsparte des in Hannover ansässigen Mischkonzerns Preussag zu verkaufen. Die krisengeplagte Arbeiterstadt Salzgitter hing vom Stahlwerk der Preussag ab. Grösster Anteilseigner der Preussag war die WestLB mit ihrem mächtigen Vorstandsvorsitzenden Friedel Neuber, dessen Büroleiter der ehemalige Duisburger SPD-Kommunalpolitiker Frenzel zuvor war. Als «roter Baron» von der Ruhr sei Neuber mit dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau sowie anderen einflussreichen Politikern der NRW-SPD verbandelt gewesen, die Gerhard Schröders Ambitionen auf das Kanzleramt damals kritisch gesehen hätten. Gerhard Schröder widersetzte sich erfolgreich dem Verkauf des Stahlwerks. Das Land Niedersachsen übernahm für über eine Milliarde D-Mark die Stahlsparte der Preussag, die seither wieder Salzgitter AG heisst. Das Land Niedersachsen besitzt bis heute mehr als ein Viertel der Anteile an der Stahlfirma. Ein weiteres Viertel der Anteile liegt inzwischen bei der «GP Günter Papenburg AG».

Der Bau- und Müllunternehmer Günter Papenburg zählt ebenfalls zu den langjährigen Vertrauten Schröders. Papenburg darf den Ministerpräsidenten Schröder Anfang der 1990er Jahre auf Reisen begleiten und macht seither mit seiner Unternehmensgruppe große Geschäfte im postsowjetischen Raum. Ohne diese Reisen mit Schröder «wäre ich nie nach Kasachstan oder Usbekistan gegangen», erin- nert sich der Bauunternehmer. Die Salzgitter AG erhält später zudem große Aufträge für russische Pipeline-Projekte. Nach der Herauslösung der Stahlsparte formt Frenzel aus der Preussag den Tourismus-Konzern TUI. Die Aktionäre werden an dieser abenteuerlichen Verwandlung wenig Freude haben und das Akronym schon bald in «Tränen Unter Investoren» auf- lösen. Größter Anteilseigner der Preussag ist die WestLB mit ihrem mächtigen Vorstandsvorsitzenden Friedel Neuber, dessen Büro- leiter der ehemalige Duisburger SPD-Kommunalpolitiker Fren- zel zuvor war. Als «roter Baron» von der Ruhr ist Neuber wie- derum mit dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau sowie anderen einflussreichen Politikern der NRW-SPD verbandelt, die Schröders Ambitionen auf das Kanz- leramt damals kritisch sehen. Schröder widersetzt sich dem Verkauf des Stahlwerks mit aller Macht und hat damit Erfolg. Am Ende ist es nicht ein ausländischer Konzern, sondern das Land Niedersachsen, das für mehr als eine Milliarde D-Mark die Stahlsparte der Preussag übernimmt, die fortan wieder unter ihrem früheren Namen als Salzgitter AG firmiert. Das Land Niedersachsen besitzt bis heute mehr als ein Viertel der Anteile an der Stahlfirma. Ein weiteres Viertel der Anteile liegt inzwischen bei der «GP Günter Papenburg AG». Den Bau- und Müllunternehmer Günter Papenburg zählen unsere Autoren ebenfalls zu den langjährigen Vertrauten Schröders. Papenburg begleitete den Ministerpräsidenten Schröder Anfang der 1990er Jahre auf Reisen und macht seither mit seiner Unternehmensgruppe grosse Geschäfte im postsowjetischen Raum. Ohne diese Reisen mit Schröder wäre er nie nach Kasachstan oder Usbekistan gegangen», so der Bauunternehmer. Die Salzgitter AG erhielt später bedeutende Aufträge für russische Pipeline-Projekte. Nach der Herauslösung der Stahlsparte formte Frenzel aus der Preussag den Tourismus-Konzern TUI. Das Akronym stand bald für «Tränen Unter Investoren». Als später ein norwegischer Investor bei der schlingernden TUI einstieg und die Ablösung Frenzels verlangte, stieg Anfang 2008 der russische Oligarch Alexei Mordaschow ein, übertrumpfte den Norweger und baute seinen Unternehmensanteil auf 34% aus. Bei der Vermittlung des Oligarchen habe der Schröder-Vertraute Heino Wiese eine entscheidende Rolle gespielt, so unsere Autoren.

1998 galt Gerhard Schröder bereits als «wirtschaftsnah» und deshalb als besserer SPD-Kanzlerkandidat als Oskar Lafontaine für den AWD-Chef Carsten Maschmeyer («Drückerkönig»). Maschmeyer habe deshalb kurz vor der Landtagswahl in den niedersächsischen Zeitungen über ein «Kuratorium zur Förderung von Gerhard Schröder» und damit unerkannt doppelseitige Anzeigen schalten lassen. Diese zeigten die Reihe der deutschen Kanzler seit Konrad Adenauer, jeweils mit der Unterzeile «Kein Niedersachse», und darunter in Großbuchstaben: «Der nächste Kanzler muss ein Niedersachse sein.» Gerhard Schröder gewann die Landtagswahl mit absoluter Mehrheit, und Lafontaine blieb keine andere Wahl, als seinem Erzrivalen die Kanzlerkandidatur anzutragen. 650 000 Mark habe sich Carsten Maschmeyer die Aktion angeblich kosten lassen.

Der Versicherungsunternehmer Mascheyer habe erkannt, dass Gerhard Schröder als Bundeskanzler von Vorteil für sein eigenes Geschäftsmodell sein dürfte. Während seiner Kanzlerschaft ergänzte er die gesetzliche Rentenversicherung um Altersvorsorge-Konzepte wie die «Riester-Rente» und die «Rürup-Rente». Unsere Autoren attestieren Gerhard Schröder mangelnden Willen, politische und private Belange klar voneinander zu trennen. Maschmeyer zählte nicht nur jahrelang zum Freundeskreis von Schröder in Hannover. In seiner Zeit als Bundeskanzler sei Schröder 2004 auch im Berliner Hotel Estrel auf der AWD-Vertriebstagung aufgetreten und habe dort den rund 2000 versammelten Versicherungsvertretern eine «staatsersetzende Funktion» zugesprochen.

Doch das war erst der Anfang. Reinhard Bingener und Markus Wehner schreiben, dass Carsten Maschmeyer und Gerhard Schröder 1999 per Handschlag eine Vereinbarung trafen, die später nur aufgrund einer Nachfrage der Finanzbehörden schriftlich fixiert wird: Der AWD-Chef kaufte dem SPD-Politiker im Falle von dessen Abwahl für zwei Millionen Euro inklusive Umsatzsteuer die Memoiren über seine Jahre im Kanzleramt ab. Ein bemerkenswerter, um nicht zu sagen anrüchiger Deal, so unsere Autoren, denn er wurde zum einen zwischen einem Politiker und einem Unternehmer vereinbart, nachdem der Politiker mit seiner Regierung Entscheidungen getroffen hat, die den Unternehmer stark betreffen. Zum anderen, weil das vereinbarte Honorar durch den Verkauf des Buches schwerlich hereinzuspielen war. Der Verlag Hoffmann und Campe habe später an Maschmeyer für die Rechte lediglich eine Million Euro bezahlt. Als Geschäftsführer des Verlags arbeitete damals Manfred Bissinger. Der Schröder-Vertraute hatte den Bundeskanzler zuvor bei wichtigen Entscheidungen beraten und imagefördernde Kontakte zu Kulturschaffenden wie Günter Grass intakt gehalten. Schröders Rentenexperte Bert Rürup wurde später AWD-Chefökonom, dann gründete das SPD-Mitglied gemeinsam mit dem Unternehmer MaschmeyerRürup AG. Der Journalist Béla Anda, der 1998 eine Schröder-Biografie vorgelegt hatte und kurze Zeit später des Kanzlers Regierungssprecher wurde, wurde später Kommunikationschef von Maschmeyers AWD in Hannover. Der ehemalige Bild-Journalist schrieb zudem im Magazin Cicero wohlwollende Kolumnen über das «Einschlagen auf russische Politiker» und eine «einseitig kritische Russlandberichterstattung» in der deutschen Presse. Damals befand sich Cicero noch im Besitz des Schweizer Ringier-Verlags befindet, bei de Schröder nach seiner Kanzlerschaft als Berater anheuerte, auf Vermittlung von – Manfred Bissinger.

Dies sind nur einige Angaben aus den ersten 30 Seiten von Die Moskau-Connection. Das Schröder-Netzwerk und Deutschlands Weg in die Abhängigkeit (Amazon.de). Unbedingt lesen!

Merkel und die Moskau-Liebe der Union

Obwohl sich Reinhard Bingener und Markus Wehner vor allem um Gerhard Schröder und sein Netzwerk kümmern, so sparen sie nicht mit Kritik an der Union. Im kurzen Unterkapitel «Merkel und die Moskau-Liebe der Union» schreiben sie, dass Angela Merkel, die in Templin aufwuchs, eine auch für DDR-Verhältnisse enge Verbindung zu Russland hatte. Anders als die meisten DDR-Schüler brillierte sie im Fach Russisch, war Klassenbeste und durfte 1970 im Rahmen einer Russisch-Olympiade nach Moskau reisen. Russisch sei «eine schöne Sprache, ein bisschen wie Musik, ein bisschen melancholisch», hatte sie einmal gesagt. Als Schülerin habe sie sich manchmal mit russischen Soldaten in Templin unterhalten und die Russen dabei nicht nur als überlegene Besatzer erlebt. Ihr Privatleben sei von Russland beeinflusst gewesen: Während eines Jugendaustausches mit Physikstudenten in Moskau und Leningrad lernte sie 1974 ihren ersten Ehemann Ulrich Merkel kennen. Als junge Frau von 30 Jahren trampte sie mit Freunden durch den Kaukasus, übernachtete im georgischen Tiflis im Bahnhofsasyl mit Obdachlosen und sah dort, dass es ganz andere Spielarten des Sozialismus gab. Die russische Literatur von Tolstoi und Dostojewski kennt Merkel, eine Weile stand Katharina die Grosse, die russische Zarin aus Deutschland, als Porträtstich auf ihrem Schreibtisch im Kanzleramt. Eine solche Nähe zu Russland habe zuvor kein Regierungschef der Bundesrepublik gehabt. Trotz des emotionalen Verhältnisses zu Russland seien keine Schwärmereien über die russische Seele von ihr bekannt. Das liege an ihrer Biografie. Als Tochter einer vom SED-Regime misstrauisch beäugten Pfarrersfamilie sowie durch Reisen in die Sowjetunion habe sie einen differenzierten, skeptischen Blick auf das dortige System erhalten. Sie verstehe die kommunistischen Herrschaftstechniken, kenne die Manipulationen und Repressionen des KGB und die Misstrauenskultur, die in Russland herrscht. Eine Oppositionelle sei sie in der DDR nicht gewesen, erst recht aber nicht ein «bekennender Marxist», wie Gerhard Schröder sich mit Mitte 30 genannt hatte.

Gleich zu Beginn ihrer Kanzlerschaft habe sich Angela Merkel in der Russlandpolitik deutlich von ihrem Vorgänger und seinem Stil abgegrenzt. Das Kumpelhafte der Freundschaft mit Putin sei ihr fremd gewesen. Sie habe es zunächst abgelehnt, mit dem russischen Präsidenten unter vier Augen die Dinge zu besprechen, wie es Gerhard Schröder getan habe. Auf ihrer ersten Russland-Reise im Januar 2006 habe sie zu einem Empfang in die Deutsche Botschaft neben Mitgliedern der Duma auch Putin-Kritiker eingeladen. Später haben sie osteuropäische, vor allem russische Politologen, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten in ihrer Privatwohnung zu Gesprächen über Russland eingeladen. Sie haben es sich schnell angewöhnt, offen ihre Meinung zu Russland zu sagen, so zu Menschenrechtsverletzungen, Angriffen auf die Pressefreiheit, Morden an Regimekritikern und Journalisten, zur Verfolgung von Homosexuellen.

Schon vor ihrer Wahl zur Kanzlerin habe sie in Warschau versprochen, dass es «keine Achse Paris-Berlin-Moskau mehr geben wird, die zu Lasten Polens geht». Polen und Balten seien froh gewesen, dass Gerhard Schröder weg war, der sie weitgehend zugunsten Moskaus ignoriert hatte. Dennoch hielt Angela Merkel an der «strategischen Partnerschaft» mit Russland fest, auch wenn nie recht klar geworden sei, was damit gemeint sei. Die Kanzlerin machte klar, dass sie in der Sache keine grundlegend andere Russlandpolitik als Schröder verfolgt.

Reinhard Bingener und Markus Wehner schreiben bezüglich Putins Provokation 2007 in Sotschi, als der Kreml-Herrscher seinen schwarzen Labrador Koni in den Raum mit Merkel liess, die Angst vor Hunden hat: «Ich hoffe, der Hund erschreckt Sie nicht», sagte Putin dreist. Die Kanzlerin hielt ihre Panik im Zaum, wollte den KGB-Test bestehen. Auf dem Rückflug soll sie eingestanden haben, dass sie diesen eigentlich nicht bestanden habe, sondern in eine Falle getappt sei. Sie hätte darauf bestehen sollen, dass der Hund den Raum verlassen muss. Diese Episode sei vielsagender, als es scheine. Laut unseren Autoren zeigt sie, dass Merkel bestimmte Schritte im Verhältnis zu Putin scheute. Sie kritisierte zwar seine Politik, wollte es aber nicht zu einer grossen Konfrontation kommen lassen. Sie suchte den Ausgleich. Putin sollte eingebunden werden, obwohl sie die innen- und aussenpolitische Verhärtung seines Regimes sah.

Um Putin zu bändigen, setzte sie auf Diplomatie und später auf Wirtschaftssanktionen. Von einer militärischen Abschreckung Russlands hielt sie wenig. Zumindest sah sie Deutschland nicht in der Pflicht, dafür Entscheidendes zu tun. Vor allem die Amerikaner sollten dies tun. Dass der Koalitionspartner SPD von einer deutlichen Erhöhung der Verteidigungsausgaben nichts hielt, sei ihr zupass gekommen (weshalb Deutschland heute überhaupt rein gar nicht abwehrbereit ist).

Die amerikanischen Pläne für eine militärische Aufrüstung in Europa lehnte Angela Merkel ab, so den Raketenschild, den George W. Bush in Polen und Tschechien errichten wollte. Sie äusserte sich 2007 kritisch dazu: ein solcher Schirm könne allenfalls gemeinsam in der NATO beschlossen werden; die SPD verlangte eine Abstimmung mit Russland. Damals hatte sich Putin bereits vehement gegen die amerikanischen Pläne gestellt.

Die Autoren weisen zudem darauf hin, dass Angela Merkel, zusammen mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, 2008 gegen den Plan von George W. Bush war, Georgien und die Ukraine in den Membership Action Plan aufzunehmen, den ersten konkreter Schritt zur NATO-Mitgliedschaft. Es sei «zu früh» für diese Länder, so Merkel. Als Argument gegen Georgiens Beitritt wurde zudem vorgebracht, dass ein Land nicht NATO-Mitglied werden könne, das ungelöste territoriale Konflikte im Innern habe. Das ist bei Georgien der Fall, da sich die Regionen Abchasien und Südossetien von dem Land losgesagt hatten, allerding nur durch die Unterstützung Russlands. Putin wusste das und sorgte später dafür, dass die Ukraine ebenfalls ein ungelöstes territoriales Problem bekommt.

Angela Merkels aussenpolitischen Berater im Kanzleramt Christoph Heusgen drängte sie zu einem härteren Kurs gegenüber Russland und betrachtete die Aktivitäten des SPD-Außenministers Steinmeier mit Misstrauen. Ihm gegenüber stand Merkels wirtschaftspolitischer Berater Lars-Hendrik Röller, der eher die Interessen des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft im Blick hatte. Röller, dessen Vater einst Warnig für die Dresdner Bank nach Russland gesandt hatte, setzte sich im Gegensatz zu Heusgen für die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 ein. Die Kanzlerin fuhr laut unseren Autoren einen Kurs der Mitte, im Zweifel setzten sich eher die wirtschaftspolitischen Interessen durch.

Die Ukraine betrachtete Angela Merkel skeptisch, als ein politisch gespaltenes und von Oligarchen beherrschtes Land. Zum späteren Präsidenten Petro Poroschenko gewann sie ein leidlich gutes Verhältnis, unterstützt ihn auch kurz vor der Präsidentenwahl. Mit Wolodymyr Selenskyj, wurde sie bis zum Ende ihrer Amtszeit wohl nie so recht warm. Von der CSU kam kaum Widerstand zu ihrem Kurs. Nach dem Ende der Sowjetunion sahen die meisten Unionspolitiker Russland nicht als Gefahr, viele machten sich für enge Beziehungen zu Moskau stark. Die Wirtschaftspolitiker standen dabei unter Einfluss des Ost-Ausschusses. Ein Teil der Außen- und Sicherheitspolitiker der CDU sah das Putin-Regime weitaus kritischer: Der langjährige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz, gehört dazu, sein Nachfolger Norbert Röttgen und der Fraktionsvize Andreas Schockenhoff (Roderich Kiesewetter erwähnen die Autoren in ihrem Buch überhaupt nicht).

Wie sehr die Meinungen in der Union auseinanderdriften, zeige exemplarisch der Streit, den der aussenpolitische Sprecher der CDU/ CSU-Fraktion, Philipp Missfelder, und Andreas Schockenhoff über die Russlandpolitik jahrelang miteinander geführt haben. Die Fehde wird im Buch im Detail ausgebreitet. Hier nur einige wenige Angaben: 2014 nahm Missfelder nach der russischen Annexion der Krim an einer privaten Feier zum 70. Geburtstag von Gerhard Schröder teil, die von der Nord Stream AG und Matthias Warnig in St. Petersburg ausgerichtet wurde. Zu den Gästen gehörten Putin und der Rosneft-Chef Igor Setschin. Aus Deutschland kamen der Geschäftsmann Klaus Mangold sowie die beiden Sozialdemokraten Erwin Sellering, Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, und Henning Voscherau, der ehemalige Erste Bürgermeister Hamburgs, der mittlerweile für Gazprom tätig ist. Missfelder hatte weder die Spitze der CDU/ CSU-Fraktion noch die Bundeskanzlerin von seiner Reise unterrichtet. Heino Wiese von der Moskau-Connection war ebenfalls dabei. Dieser habe in Missfelder zu jenem Zeitpunkt den künftigen deutschen Kanzler gesehen.

Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Volker Kauder, der Missfelder zugetan war, schreckte vor Konsequenzen zurück. Von besonderen Sympathien Missfelders für Schröder oder für Putin sei zuvor wenig bekannt gewesen. Missfelder sagte noch 2007: «Dass Gerhard Schröder ausgerechnet jetzt für Gazprom arbeitet, ist ja nur der erste Vorbote dafür, dass die russische Diktatur versuchen wird, immer mehr Einfluss auf Deutschland auszuüben».

2013 hingegen lobte Missfelder Schröder für sein Nein zum Irak-Krieg der Vereinigten Staaten. Danach war er regelmässiger Gast in der Russischen Botschaft und lud wiederum Botschafter Wladimir Grinin zu CDU-Veranstaltungen ein. Nach seiner Reise zu Schröders russischer Geburtstagsfeier orientierte sich Missfelder offiziell aussenpolitisch rasch um. Er legte das Amt des Amerika-Beauftragten nieder, wurde Mitglied im Kuratorium des Vereins «Deutschland-Russland – Die neue Generation» sowie im Vorstand des Deutsch-Turkmenischen Forums, das die Freundschaft mit einem Land pflegte, dessen damaliger Diktator einen skurrilen stalinistischen Personenkult errichtet hatte, das aber über die viertgrößten Gasreserven der Welt verfügt. Zudem wurde Missfelder Mitglied im Vorstand des Deutsch-Russischen Forums, dem der Schröder-Vertraute Heino Wiese angehört.

Zu Wiese und zur Moskau-Connection hatte Missfelder schon zuvor einen engen Draht. Unsere Autoren berichten, dass Wiese 2011 eine Reise von Bundestagsabgeordneten nach Russland organisierte, an der Missfelder und der SPD-Abgeordnete Lars Klingbeil, stellvertretender Vorsitzender der deutsch-russischen Parlamentariergruppe, teilnahmen. Missfelder veröffentlichte Artikel in der Zeitschrift der Senioren-Union Souverän. So schrieb er 2015 zur «Lösung des Ukraine-Konflikts»: «Der Westen sollte sich selbstkritisch fragen, ob es nicht eine kluge Entscheidung gewesen wäre, die unzähligen Angebote anzunehmen, welche die Präsidenten Putin und Medwedjew im wirtschaftlichen wie im sicherheitspolitischen Rahmen wiederholt gemacht haben, anstatt sie weitgehend zu ignorieren.» Die Nato rief er zur «Schaffung eines gemeinsamen Werteraums» mit Russland auf. Das Prinzip «Wandel durch Annäherung» habe sich historisch als besonders erfolgreich erwiesen, es «sollte als Wegweiser für die Zukunft gelten».

Misfelders fraktionsinterner Gegenspieler Andreas Schockenhoff war von 2006 bis Anfang 2014 Russland-Beauftragter der Bundesregierung. Schockenhoff kritisiert russische Menschenrechtsverletzungen und forderte nach der Krim-Annexion, die Sanktionen gegen Russland auf ganze Wirtschaftsbranchen und den Finanzverkehr auszuweiten, und nannte Putin einen «paranoiden» Herrscher. Gemeinsam mit der Grünen-Abgeordneten Marieluise Beck forderte Andreas Schockenhoff Reformen für den Petersburger Dialog, der alles andere als ein Dialog der Zivilgesellschaften sei, sondern nur dazu diene, die Politik des Kremls salonfähig zu machen. Aussenminister Steinmeier war er den «Versuch des Gesundbetens» der russischen Politik in der Ukraine vor.

Es kam zu einem offenen Streit zwischen Schockenhoff und Missfelder. Schockenhoff vermutete ein Netzwerk finanzieller Abhängigkeiten, in dessen Mitte er Missfelder sah. Schockenhoff war Alkoholiker, er machte seine Krankheit 2011 öffentlich, behauptete, sie im Griff zu haben. Als er auf einer Reise nach Paris Alkohol trank, brachte die Bild-Zeitung am nächsten Tag einen Artikel samt angeblichem Beweisfoto über den Rückfall des CDU-Politikers. Die Information und das Foto sollen durch Missfelder an das Boulevardblatt gelangt sei. Unsere Autoren schreiben, dass der Streit tragisch endete: Andreas Schockenhoff starb am 13. Dezember 2014, nachdem er sich in seiner heimischen Sauna schwere Verbrühungen zugezogen hat, Philipp Missfelder starb auf den Tag genau sieben Monate später an einer Lungenembolie.

Weitere kritische Information zur Union finden sich zu Armin Laschet, der pünktlich zur Annexion der Krim sagte, es gebe in der deutschen Öffentlichkeit einen «marktgängigen Anti-Putin-Populismus». Auch wenn das Referendum auf der Krim «eindeutig völkerrechtswidrig» gewesen sei, müsse man sich in den Gesprächspartner «hineinversetzen, wenn man eine außenpolitische Beziehung pflegt». Dabei verwies Laschet auf 1200 Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen, die Handel mit Russland trieben.

2018, als der einstige russische Geheimdienstagent Sergei Skripal und dessen Tochter in England von als Diplomaten getarnten russischen Geheimdienstleuten mit dem militärischen Kampfstoff Nowitschok vergiftet wurden und den Anschlag nur knapp überlebten, monierten AfD und Linkspartei, es sei völlig unklar, ob dieses Gift tatsächlich vom Kreml eingesetzt wurde. Armin Laschet, nun schon Ministerpräsident in Düsseldorf, pflichtete ihnen auf Twitter bei: «Wenn man fast alle Nato-Staaten zur Solidarität zwingt, sollte man dann nicht sichere Belege haben? Man kann zu Russland stehen, wie man will, aber ich habe im Studium des Völkerrechts einen anderen Umgang der Staaten gelernt». Dass die westlichen Geheimdienste und Regierungen überzeugt waren, das militärische Nervengift könne nur aus staatlichen Quellen in Russland stammen, habe Laschet ignoriert, so unsere Autoren.

In der aussenpolitischen Community, aber auch in der Unionsfraktion habe Laschet den Ruf als «Putin-Versteher» gehabt. Zu seinen engen Beratern gehörten Bahn-Vorstand Ronald Pofalla, der Vorsitzende des Petersburger Dialogs, ebenso wie Michael Rutz, ehemaliger Journalist und Unternehmer, Mitglied im Lenkungsausschuss des Petersburger Dialogs und Vorstandsmitglied des Deutsch-Russischen Forums.

Reinhard Bingener und Markus Wehner schreiben, dass in der CSU damals ebenfalls eher die Nähe zu Russland als kritische Distanz überwiegten. Die CSU verfolgte ihre eigene Russland-Diplomatie. Besonders eng sei das Verhältnis zwischen Putin und Edmund Stoiber gewesen, der sich als Ministerpräsident Bayerns etliche Male mit dem russischen Präsidenten traf. Stoiber sei stolz darauf gewesen, dass ihm Putin persönlich zu seiner Wiederwahl als bayerischer Ministerpräsident telefonisch gratuliert habe. Beim Abschiedsbesuch im Kreml 2007 habe sich Putin fast vier Stunden Zeit für Stoiber genommen. Für einen Gast, der gerade von seiner Partei zum Rückzug gezwungen worden war, liess Putin die Ehrengarde aufmarschieren. Danach folgte ein Abendessen im Landhaus des Kreml-Herrschers. Auch Horst Seehofer habe versucht, ein besonderes Verhältnis zu Putin aufzubauen. Mehr dazu im herausragenden Buch von Reinhard Bingener und Markus Wehner.

Trotz der Länge des Artikels sind dies nur ganz wenige Angaben aus einem Buch, das auf rund 300 Seiten Substanz bietet. Pflichtlektüre!

Reinhard Bingener, Markus Wehner: Die Moskau-Connection. Das Schröder-Netzwerk und Deutschlands Weg in die Abhängigkeit. C.H. Beck Verlag, 2. Ausgabe März 2023, 304 Seiten. Das Buch bestellen bei Amazon.de.

Siehe zudem Catherine Belton: Putins Netz; Michael Thumann: Revanche. Wie Putin das bedrohlichste System der Welt geschaffen hat; Michail Chodorkowski: Wie man einen Drachen tötet. Handbuch für angehende Revolutionäre, ein Plan für die Zeit nach Putin.

Zitate und Teilzitate in dieser Rezension / Buchkritik des lesenswerten Buches von Reinhard Bingener und Markus Wehner (Amazon.de) sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlusszeichen gesetzt.

Rezension / Buchkritik  von Die Moskau-Connection. Das Schröder-Netzwerk und Deutschlands Weg in die Abhängigkeit (Amazon.de) hinzugefügt am 17. April 2023 um 21:26 deutscher Zeit.