Bernardo Bellotto am sächsischen Hof

Jan 12, 2023 at 12:56 687

Die Ausstellung Zauber des Realen. Bernardo Bellotto am sächsischen Hof begeisterte vom 21. Mai bis am 28. August 2022 die Museumsbesucher der Gemäldegalerie Alte Meister der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Der gleichnamige, grossartige, reich illustrierte Katalog ist weiterhin erhältlich (beim Sandstein Verlag sowie bei Amazon.de).

Anlässlich des 300. Geburtstags von Bernardo Bellotto präsentierten mehrere Museen Ausstellungen mit Werken des kosmopolitischen, in Venedig am 20. Mai 1722 als Sohn des Vermögensverwalters Lorenzo Antonio Bellotto und dessen Ehefrau Fiorenza Domenica Canal geboren Künstlers, darunter das Hessische Landesmuseum Darmstadt (HLMD) mit Bellottos Arbeiten auf Papier sowie die hier präsentierte Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden.

Der Direktor der Gemäldegalerie Alte Meister Skulpturensammlung (bis 1800) Stephan Koja erklärt in seinem Begleitwort, dass in der Dresdner Ausstellung sämtliche Werke aus der Sammlung der Gemäldegalerie Alte Meister gemeinsam mit hochkarätigen Leihgaben zu sehen waren. Die Retrospektive feierte den Glanz des barocken Dresden sowie seinen berühmtesten malerischen Chronisten und gab gleichzeitig einen Überblick über die gesamte Karriere des Künstlers. Das Dresdner Kupferstich-Kabinett steuerte mit Bellottos Radierungen für das Verständnis seines Œuvres und seiner internationalen Rezeption wichtige Werke bei. Das Königliche Schloss in Warschau sandte eine ganze Wand seines Canaletto-Saals mit bedeutenden Warschauer Veduten, die den Schreibenden bei Besuchen der polnischen Hauptstadt immer wieder begeistert haben. Unter anderem aus Museen in Washington, London und Manchester kamen weitere Arbeiten, die besonders für die Darstellung der ersten Dresdner Periode Bellottos bedeutend sind.

Iris Yvonne Wagner zeichnet im Katalog (Amazon.de) die Jahre von Bernardo Francesco Paolo Ernesto Bellotto in Dresden, Wien und München nach. Seine Mutter war eine jüngere Schwester Giovanni Antonio Canals, genannt Canaletto – einem der berühmtesten Vedutenmaler der Zeit, den der Neffe noch übertreffen sollte. Um das Jahr 1735 begann Bernardo, als Lehrling in der Werkstatt seines Onkels Antonio Canal zu arbeiten und trat drei Jahre später der venezianischen Malerzunft Fraglia dei Pittori bei, in deren Verzeichnis er bis 1743 geführt wurde.

1742 erreichte der Österreichische Erbfolgekrieg (1740-1748) italienischen Boden. Damit endeten die goldenen Zeiten Venedigs endgültig. Der Tourismus ging zurück. Die Vedutenmalerei konnte ihre Künstler nicht mehr ernähren, da es keine Aufträge mehr gab. Antonio Canal gab seine Werkstatt auf und ging 1746 nach England. Der Neffe Bernardo Bellotto verliess 1747 zusammen mit seiner Ehefrau Elisabetta, seinem Sohn Lorenzo und dem Diener Francesco seine Geburtsstadt und reiste nach Dresden.

Die sächsische Residenzstadt befand sich damals unter Kurfürst und König August III. und seiner Gemahlin Maria Josepha von Österreich auf dem Höhepunkt ihrer kulturellen Blüte. Dresden war ein Anziehungspunkt für Kunstschaffende aus vielen Ländern – Architektur, Bildhauerei, Malerei, Oper, Literatur, Theater, Musik, Wissenschaft und Festivitäten bildeten den Rahmen einer prachtvollen Hofhaltung, die sich mit den führenden europäischen Fürstenhöfen und Königshäusern messen konnte.

Zwei Herrscherpersönlichkeiten prägten das kulturelle Leben der Stadt: Kurfürst August I., genannt August der Starke, ab 1697 als August II. auch König von Polen und Grossfürst von Litauen, und sein Sohn Friedrich August II., als August III. ab 1733 ebenfalls König von Polen und Grossfürst von Litauen.

Diesen Herrschern verdankt Dresden nicht nur das barocke Stadtgefüge mit zahlreichen prägenden Bauten wie dem Zwinger, der Hofkirche und der Augustusbrücke, sondern zudem eine Vielzahl herausragender Kunstwerke, darunter Kunstkammerstücke, antike Skulpturen, Porzellan, Grafiken und Gemälde, die heute unter anderem im grünen Gewölbe, im Albertinum und in anderen Museen zu bewundern sind. Dabei standen diese beiden Regenten in einer langen Tradition des Bewahrens und Sammelns in Dresden, die bis in die Zeit der ersten Kurfürsten der albertinischen Linie des Hauses Wettin zurückreicht.

Stephan Koja erläutert, dass Bernardo Bellotto, der – aus Venedig kommend – in Dresden, Wien, München und Warschau lebte und arbeitete, wie viele seiner Kollegen ein Kosmopolit war. Er genoss am Dresdner Hof, der sich kulturell insbesondere die Serenissima zum Vorbild nahm, eine besondere Stellung und grosszügige Entlohnung. Offensichtlich war man stolz darauf, einen Maler nach Dresden geholt zu haben, der nicht nur in der Tradition seines berühmten Onkels Giovanni Antonio Canal, genannt Canaletto, stand, sondern diesen noch übertraf. Der Maler selbst gab seinem sozialen Anspruch in der kostbaren Ausstattung seines Hauses, seiner Kunstsammlung und seiner Bibliothek sichtbaren Ausdruck, so Stephan Koja.

Benardo Bellotto war ein genauer Beobachter des städtischen und ländlichen Raums und des Alltags. Bei der Ausarbeitung seiner Werke bediente sich der Künstler moderner technischer Hilfsmittel wie der Camera obscura, deren Ergebnisse er geschickt den Gewohnheiten menschlichen Sehens anpasste. Stephan Koja weist darauf hin, dass er damit dem Zeitgeist entsprach. Damals begannen die Menschen mittels Verstand, naturwissenschaftlicher Neugier und enzyklopädischer Erfassung die Welt in neuem Licht zu betrachten. Schon August der Starke hatte das Kurfürstentum topografisch erfassen und vermessen lassen; sein Sohn liess es nun bildlich dokumentieren.

Stephan Koja verweist darauf, dass Bellottos Realismus, der teilweise bereits auf die Kunst des 19. Jahrhunderts vorausweist, keine trockene Aufzeichnung des Beobachteten bedeutete. Der Venezianer war nicht nur Dokumentarist, sondern ein herausragender Künstler, der das Gesehene in grandiose, abwechslungsreiche Kompositionen goss, denen er Glanz und einen würdevollen Auftritt gab. Bernardo Bellotto steigerte die Intensität seiner Werke, indem er die Gegebenheiten geringfügig veränderte, sofern dies zur Klärung einer Ansicht beitrug; er verstärkte die Perspektive, erhöhte durch dramatische Hell-Dunkel-Kontraste die Plastizität der Gebäude oder lenkte durch die raffinierte Setzung des Lichts das Interesse des Betrachters in die Bildtiefe. Stephan Koja schreibt von einer Mischung von Sachlichkeit und szenischer Inszenierung, um in ihrer Verbindung eine höhere, künstlerische Wahrheit zu erreichen.

Bezüglich der Druckgrafik erwähnt Gudula Metze in ihrem Essay, dass Bellotto mit diesen offenkundig nicht das Ziel hatte, eine möglichst genaue Wiedergabe der gemalten Veduten zu schaffen. Dabei zitiert sie Werner Schmidt, der dazu treffend gesagt habe, es handle sich bei der Veduten-Grafik um »Transformation in ein anderes ästhetisches Revier«.

Im gleichnamigen Katalog zur Ausstellung Zauber des Realen. Bellotto. Bernardo Bellotto am sächischen Hof (Amazon.de) tragen dreizehn Spezialisten zum besseren Verständnis von Leben und Werk des Ausnahmekünstlers bei. So widmet sich Gudula Metze wie erwähnt dem Radierer Bellotto, Iris Yivonne Wagner seiner Zeit und seinen Förderern in Dresden, Wien und München, unter ihnen Graf von Brühl, der kurfürstlich-sächsische und königlich-polnische Premierminister, Ewa Manikowska deutet Bellottos Dresdner Wohnung als Ausdruck des sozialen Anspruchs und Status des Künstlers, Artur Badach untersucht die frühen Jahre von Bellotto in Italien, Mechthild Haas beschreibt seinen Werdegang als Zeichner von der Schülerhand zur Meisterhand, Sabine Bendfeldt analysiert die Maltechnik des Künstlers anhand der Dresdner Veduten, Thomas Liebsch untersucht seine Verwendung der Camera obscura, Andrzej Rottermund untersucht anhand der Ansichten von Warschau und Rom die Genese und Chronologie der Gemäldezyklen von Bernardo Bellotto, etc. Eine kurze Biografie, ein Literaturverzeichnis sowie die Werkliste mit 144 Ausstellungsstücken, darunter 83 Gemälde, viele Zeichnungen und Druckgrafiken, einige Pastelle, Skulpturen, Porzellanteile, Instrumente, Kunsthandwerkobjekte und Archivalien runden den prächtigen, reich illustrierten Band ab. Ich bin begeistert!

Der gebundene Katalog, Herausgeber Staatliche Kunstsammlungen Dresden; Stephan Koja; Iris Yvonne Wagner: Zauber des Realen. Bellotto. Bernardo Bellotto am sächsischen Hof. Sandstein Verlag, Mai 2022, 256 Seiten, 280 farbige Abbildungen, 28 x 24 cm. Das Buch bestellen bei Amazon.de.

Siehe zu Bellotto ebenfalls die Artikel Bernardo Bellotto zeichnet und Canaletto: Bernardo Bellotto paints Europe sowie zu Dresden Das Schokoladenmädchen von Jean-Etienne Liotard, Das grüne Gewölbe zu Dresden und Das Albertinum in Dresden.

Zitate und Teilzitate in dieser Rezension / Buchkritik von Zauber des Realen. Bellotto. Bernardo Bellotto am sächsischen Hof (Amazon.de) sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlusszeichen gesetzt.

Rezension / Buchkritik vom 12. Januar 2023 um 12:56 Dresdner Zeit.