Auf die Frage, wohin man Einladungen für ihn 2022 schicken soll, sagte Olaf Scholz (*1958) im Januar 2021 nassforsch: „Bundeskanzleramt.“ Das war keinesfalls abzusehen. Nur weil die Kanzlerkandidaten von Union und Grünen – Armin Laschet und Annalena Baerbock – im Sommer implodierten, schaffte Merkels Finanzminister den Aufstieg ins Kanzleramt. Kaum ist der sozialdemokratische „Scholzomat“ Kanzler, da liegt sie schon vor, die erste Biografie bzw. das erste Porträt von Olaf Scholz.
Der Journalist und Autor Lars Haider (*1969) ist seit Juli 2011 Chefredakteur des Hamburger
Abendblatts. Aus dieser Zeit kennt er Olaf Scholz, den er so oft wie wenige andere Journalisten in Deutschland getroffen hat und dem er laut eigener Aussage immer zugetraut hat, eines Tages Bundeskanzler zu werden. Mit Olaf Scholz — Der Weg zur Macht (Amazon.de) legt Lars Haider nun das erste Porträt des Kanzlers vor.
Der Autor unterstreicht, dass Olaf Scholz wegen Helmut Schmidt in die SPD eintritt und heute gern mit dem Hamburger verglichen wird. Scholz wusste immer, dass er ins Kanzleramt will. Und schon bei seinem SPD-Beitritt ist er der Meinung, dass in Deutschland jede Lebensleistung respektiert werden muss, dass wir „nicht in einer Gesellschaft leben, in der der eine auf den anderen herabschaut“.
Als er Generalsekretär der SPD unter Bundeskanzler Gehard Schröder war, hat Olaf Scholz hat die Meisterschaft des Nichtsagens und vor allem des Sprechens auf eine Weise perfektioniert, damit er nicht falsch verstanden bzw. ausgelegt werden kann. Lars Haider schreibt, man hätte Scholz fragen können, welcher Tag heute ist, und er hätte sinngemäss geantwortet: „Die Woche besteht aus insgesamt sieben Tagen, von denen jeder einen eigenen Charakter und eine besondere Funktion hat, aus denen sich in der Gesamtschau eine Woche ergibt, die unterschiedliche Schwerpunkte und Herausforderungen mit sich bringt.“
Lars Haider schreibt, dass Olaf Scholz als Generalsekretär unter Gerhard Schröder der Mann war, der sich immer dann schützend vor den Kanzler warf, wenn es brenzlig wurde, wenn der Kanzler angegriffen wurde. Scholz verteidigte HartzIV und andere Massnahmen. Lars Haider hätte hier anfügen können, dass der damalige Kanzleramtschef Steinmeier noch einen grösseren Anteil an Schröders HartzIV-Reformen, der Riester-Rente, Steuersenkungen und den Folgen wie vor allem der Schaffung von Europas grösstem Niedriglohnsektor mit Folgen für die Renten sowie allgemein dem Anwachsen der Armut in Deutschland neben dem Kanzler mitzuverantworten hat. Allerdings waren damals dringend Reformen notwendig. Einige liefen einfach schief. Immerhin hatte Schröder den Mut, dass Land zu reformieren, und bezahlte dafür mit seiner Abwahl. Nebenbei bemerkt: Lars Haider erwähnt in Olaf Scholz — Der Weg zur Macht Steinmeier mit keinem Wort.
Olaf Scholz erzählte 2018 Lars Haider: Er wechsle nach Berlin, um sich dort in der Grossen Koalition neben Angela Merkel als wichtigstes Mitglied der Bundesregierung zu etablieren. Wenn Merkel nach der Legislaturperiode, im September 2021, nicht erneut kandidiere, würden viele eine Sehnsucht nach jemanden haben, der ähnlich erfahren, ähnlich kompetent und überhaupt so ähnlich sei wie die beliebte Kanzlerin. Scholz ahnte schon 2018, dass sich die Wähler erst fünf, sechs Wochen vor der Wahl damit beschäftigen würden, dass die Ära Merkel nach 16 Jahren tatsächlich zu Ende geht. Und dass dann seine Stunde schlagen würde. Bei Lanz am 14. Dezember 2021 sagte Lars Haider, Scholz habe ihm 2018 zudem gesagt, dass 2021 rund 25% bis 26% zur Kanzlerwahl reichen würden. Diesen Satz fand ich nicht in seinem Buch (Amazon.de).
Hinzufügen würde ich hier allerdings, dass Olaf Scholz nicht ganz so visionär war, aber visionärer als Schäuble und Bouffier, die massgeblich Söder verhinderten, der höchstwahrscheinlich die Wahl gewonnen hätte. Dann hätten wir heute wohl Schwarz-Grün oder Jamaica. Lars Haider hingegen sagte bei Lanz in der erwähnten Sendung, dass Scholz gegen Söder die Wahl gewonnen hätte, einfach vielleicht noch knapper. Im PDF des Buches, das mir vorliegt, schreibt Lars Haider noch vorsichtiger: Wie wäre die Bundestagswahl ausgegangen, wenn Olaf Scholz nicht gegen Armin Laschet und Annalena Baerbock, sondern gegen Markus Söder und Robert Habeck angetreten wäre? Wir wissen es nicht. Er betont allerdings auch die Qualitäten von Scholz, inbesondere seine Zuverlässigkeit. Wie auch immer: Scholz ist nun Kanzler.
Zur Wahlkampagne der SPD erwähnt Lars Haider zurecht, dass diese voll auf Olaf Scholz zugeschnitten, Saskia Esken, Norbert Walter-Borjans und Kevin Kühnert verschwanden im Hintergrund, als seien sie zwischenzeitlich aus der Partei ausgetreten. Wenn sie sich äusserten, dann so, als hätten sie sich in ihrem Leben nichts mehr gewünscht, als den Kanzlerkandidaten Olaf Scholz.
Lars Haider beschreibt die Idee hinter der Strategie: Je beliebter Scholz wird, je mehr Menschen sich vorstellen können, dass er Angela Merkel im Kanzleramt nachfolgt, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass er die SPD in Umfragewerten mitzieht. So ist es gekommen, die Entwicklung begann ungefähr sechs Wochen vor der Wahl, auch das genauso, wie Scholz es angekündigt hatte. Ich würde entgegen, so ist es nur gekommen, weil die Gegner implodierten und der erfolgreichste mögliche Gegner, Markus Söder, nicht im Rennen war.
Lars Haider präzisiert, dass der Plan von Scholz gar nicht war, mit der SPD vor der CDU/CSU zu landen, sondern nur, „mit 20 Prozent plus x“ vor den Grünen zu landen, um dann mit diesen und einem weiteren Partner eine Regierung zu bilden.
Die Bürgerschaftswahl 2011 in Hamburg bezeichnet Lars Haider zusammen mit der Bundestagswahl 2021 als die beiden wichtigsten Wahlen in der politischen Karriere von Olaf Scholz. 2011 sei die SPD verzeifelt, am Boden liegend und der Gegner schwach gewesen. Scholz hatte sich nicht aufgedrängt. Er sei gebeten worden und habe, als er 2009 den Vorsitz des Landesverbandes in Hamburg übernahm, mit den Worten aufgeräumt: „Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch.“
Wie zehn Jahre später Laschet habe sich Scholz darauf verlassen können, dass sein Gegner Ahlhaus von der CDU im Wahlkampf 2011 keinen Fehler ausliess. Die spröde Ernsthaftigkeit und das mangelnde Charisma waren in Hamburg für Scholz nur Vorteile, die ihn neben Ahlhaus in Zeiten des Skandals um die Fehlleistungen rund um die Planung und den Bau der Elbphilharmonie seriös und kompetent aussehen liessen. Den Unterschied zu 2021 sieht Lars Haider darin, dass 2011 wohl jeder Spitzenkandidat der SPD die Bürgerschaftswahl in Hamburg gewonnen hätte, während dem die Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr gewannen, obwohl Scholz in der SPD ist.
2011 habe sich Olaf Scholz erstmals ohne Wenn und Aber willkommen gefühlt. In Berlin als SPD-Generalsekretär, Abgeordneter und dann Bundesarbeitsminister sei er zwar respektiert, aber nicht gemocht worden, weil er sperring, unzugänglich, langweilig war.
Lars Haider bezeichnet Olaf Scholz als Besserwisser, denn er kenne sich in den Tiefen der Politik, in Sach- und Detailfragen so gut aus wie wenige in Deutschland. Er sei ein Aktenfresser, der Informationen aus erster Hand wolle, der viel lese und lange zuhöre, wenn er glaube, dass andere Menschen etwas zu sagen hätten und er von ihnen lernen könne. Gelassenheit, Beharrlichkeit und Sturheit zählten zu seinen Stärken, auf die er stolz sei.
Wo andere einen Traum hätten, habe Scholz einen Plan. Nach seiner Wahl als Bürgermeister in Hamburg habe er seine Wahlversprechen umgesetzt: mehr Wohnungen und Ganztagsschulen, weniger Beiträge für Kitas. Das werde beim Ampel-Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP nicht anders sein, so Lars Haider. Scholz sei extrem ergebnisorientiert.
Niederlagen ignoriere er einfach. Deshalb sei Olaf Scholz ein Meister des Comebacks, so unser Autor, der ebenfalls erwähnt, wo der heutige Kanzler im Bundestagswahlkampf 2021 angreifbar gewesen wäre. Sein gefährlichster Gegner sei nicht Laschet, Baerbock oder Söder gewesen, sondern Kevin Kühnert. Lars Haider erklärt zudem das Verhältnis von Olaf Scholz zu seiner Frau, die er Britta Ernst und nicht seine Frau nennt.
Zu den Ausschreitungen am G20-Gipfel im Juli 2017 in Hamburg schreibt Lars Haider unter anderem: Ein Regierungschef „appelliert“ an Gewalttäter, „mit ihrem Tun aufzuhören“. Verzweifelter, aber auch ratloser kann man als Politiker kaum sein. Dies war der Tiefpunkt in Scholz’ Karriere.
Wirecard und CumEx erwähnt der Autor nur ganz kurz, da er denkt, da sei Olaf Scholz nichts vorzuwerfen. Diese Einschätzung teile ich nicht.
Gegen Ende des Buches bekennt Lars Haider: „Ich persönlich habe wenige Politikerinnen und Politiker kennengelernt, denen ich politisch so viel zugetraut habe und anvertraut hätte wie Olaf Scholz.“
Dies sind nur einige wenige Informationen aus dem ersten Buch zur Biografie, zum politischen Werdegang und Denken von Kanzler Olaf Scholz. Wer mehr wissen will, sollte sich das Buch kaufen.
Lars Haider: Olaf Scholz — Der Weg zur Macht. Porträt. Klartext Verlag, Dezember 2021, 198 Seiten. Das Buch bzw. Kindle EBook bestellen bei Amazon.de.
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Zitate und Teilzitate in dieser Buchkritik / Rezension sind der besseren Lesbarkeit wegen nicht zwischen Anführungs- und Schlussszeichen gesetzt.
Buchkritik / Rezension vom 18. Januar 2022 um 14:23 deutscher Zeit. Zuletzt ergänzt am 15. Juni 2022 um 20:34 deutscher Zeit.