Wird Olaf Scholz Kanzler einer Ampelkoalition?

Okt 04, 2021 at 11:17 4453

In Deutschland ging am 26. September 2021 nach der Bundestagswahl sofort der Koalitionspoker los. Viele Kommentatoren vergassen allerdings zu erwähnen, dass die GroKo mathematisch, de facto gar nicht abgewählt wurde. Die Union bestehend aus CDU und der bayerischen Schwesterpartei CSU musste zwar Federn lassen, die Sozialdemokraten von der SPD gewannen Mandate hinzu. Zusammen verfügen die bisherigen Koalitionspartner weiterhin über eine Mehrheit im Bundestag. Die Grosse Koalition könnte folglich einfach weiterregieren, wenn sie nur wollte. Einzig die Machtverhältnisse haben sich umgedreht.

Da die CDU unter der Führung von Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet – wie von vielen erwartet – implodiert ist und die SPD dank Olaf Scholz zugelegt hat und nun die stärkste Partei im Bundestag ist, müsste einzig das Kanzleramt von der CDU zur SPD wechseln.

Im Moment setzen die meisten Kommentatoren auf eine von Olaf Scholz geführte Ampelkoalition von SPD, Grünen und FDP. Die Liberalen würden zwar lieber mit der CDU und den Grünen eine Jamaica-Koalition bilden, doch SPD und Grüne stehen sich inhaltlich näher. Die Basis dieser zwei Parteien spricht sich noch deutlicher – als jene der FDP für Jamaica – für die Ampel aus.

In Deutschland wird der Kanzler nicht direkt vom Wähler, sondern der Mehrheit des Bundestages gewählt. Daher ist das vorläufige amtliche Endergebnis für den Bundestag mit rund 735-Mitgliedern entscheidend, wobei die endgültige Zusammensetzung auf Grund von Direktmandaten und daraus resultierenden Ausgleichsmandaten sich noch ändern kann.

Die SPD gewann 25,7% (+5,2%) und 206 Sitze. Sie ist der grosse Wahlgewinner, weil Kanzlerkandidat Olaf Scholz unter den verbleibenden Kanzlerkandidaten eindeutig jener war, dem die Wähler das Amt am ehesten zutrauen. Allerdings wurde jener Mann, der bei weitem in Umfragen vorne lag, Markus Söder von der CSU, von der CDU nicht auf den Schild gehoben. Insbesondere Wolfgang Schäuble und Volker Bouffier setzten sich im entscheidenden Moment für Armin Laschet und gegen den CSU-Chef ein.

Das Resultat? Die Union von CDU und CSU wurde im Vergleich zum erbärmlichen Resultat bei der letzten Bundestagswahl nochmals empfindlich abgestraft und landete bei 24,1% (-8,9%!) und 196 Sitzen. Die Grünen schafften es mit 14,8% (+5,8%) und 118 Sitzen auf den dritten Platz. Das sieht nur im ersten Moment toll aus. Zwischenzeitlich hatten die Grünen allerdings gar die Union bedrängt, ehe die Spitzenkandidatin Annalena Baerbock implodierte.

Die wirtschafts- und auch sonst weitgehend liberale FDP landete mit 11,5% (+0,7%) bei 92 Sitzen. Das sind leichte Zugewinne. Angesichts des Desasters der Union hätte man allerdings auch mehr für die Liberalen erwarten können. Doch viele Wechselwähler wanderten wegen Olaf Scholz zur SPD.

Die AfD gewann nur noch 10,3% (-2,3%) und 83 Sitze. Die sogenannte Alternative für Deutschland wird vom Wähler (zurecht) nicht als solche wahrgenommen. Überraschend erlebte die ebenfalls extreme Partei Die Linke mit nur 4,9% (-4,3%!) ein noch grösseres Desaster. Sie blieb unter der 5%-Hürde, schaffte es jedoch dank Direktmandaten dennoch mit 39 Sitzen in den Bundestag.

Die dänische und friesische Minderheit, die nicht von der 5%-Regel betroffen ist, gewann über den Südschleswigschen Wählerverband SSW 1 Sitz. Andere Parteien kamen ingesamt immerhin noch auf 8,7% (+3,7%), gewannen jedoch keine Bundestagsmandate.

Merkels Union ist nun nicht mehr die grösste Fraktion im Bundestag. Der Abstieg war langsam, kam nicht überraschend, doch ist die Kanzlerin bis heute die beliebteste Politikerin. An der Teflon-Merkel bleibt nichts hängen. Das gilt übrigens auch für ihren zur Zeit wahrscheinlichsten Nachfolger Olaf Scholz (CumEx, Wirecard, G20-Randale, Hartz IV).

Obwohl die Union von CDU und CSU vor allem wegen Kanzlerkandidat Armin Laschet (*1961) – nur 19% wählten laut Infratest dimap die Union wegen Laschet – sowie wegen fehlender Geschlossenheit (danke Söder!) auf einem historischen Tief landete, formulierte der Mann aus NRW direkt nach der Wahl seinen Anspruch aufs Kanzleramt.

Infratest dimap fragte für die ARD die Wähler der FDP direkt nach der Wahl, mit wem sie den gerne regieren würden. 52% sprachen sich für die Union aus, nur 23% für die SPD. Vor der Wahl hatte FDP-Chef Christian Lindner (*1979) mehrfach klar gesagt, die Union sei der natürliche Partner der Liberalen. Die Präferenz für Jamaica war klar.

Die Wähler der Grünen wiederum sprachen und sprechen sich in der Mehrheit für eine Ampel aus. Am Wahlabend meinten laut Infratest dimap nur 20% der Grünen, Jamaica wäre gut, 59% verneinten dies. Für eine Ampelkoalition sprachen sich 43% aus, dagegen 38%.

Armin Laschet wurde in Umfragen nie als tauglich für das Kanzleramt bewertet. Als er dann noch während der Unwetterkatastrophe hinter Bundespräsident Steinmeier stehend völlig unpassend grinsend gefilmt wurde, war der Mann aus NRW endgültig erledigt. Natürlich hat Armin Laschet nicht die Flutopfer ausgelacht, doch als Politprofi hätte er wissen müssen, dass die Kameras ihn einfangen würden.

Am 1. Oktober 2021 publizierte die ARD ihren neuesten DeutschlandtTrend. Laut dieser Umfrage meinten nur 18% der Wähler, eine Jamaica-Koalition würde einen Neustart für Deutschland repräsentieren. Immherin 51% hingegen meinten, eine Ampelkoalition würde eben dies darstellen. Zumindest in den Umfragen ist also klar, wohin der Weg laut dem Wähler gehen soll.

Doch mit SPD und Grünen in der Regierung, würde die Koalition linkslastig werden, denn Olaf Scholz repräsentiert nicht wirklich die Stimmung an der Basis der SPD. Olaf Scholz war einst als Parteichef der Basis nicht gut genug, weil politisch zu rechts und für die GroKo stehend. Dennoch wurde er am 10. August 2020 Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten. Damals lag die SPD im ARD-DeutschlandTrend bei erbärmlichen 15%. Die Union kam auf stolze 38%, die Grünen lagen immerhin bei 18%.

Lange sah es nach einem Duell zwischen den Schwarzen und Grünen aus. Kurze Zeit schien es gar, als könnten die Grünen unter Annalena Baerback gar die Union von der Spitze verdrängen. Viele – auch der Schreibende – erwarteten Schwarz-Grün, Grün-Schwarz oder Jamaica als wahrscheinlichstes Wahlresultat. Doch dann implodierten Armin Laschet und Annalena Baerbock auf Grund von eigenen Fehlern. Und plötzlich spielte es eine Rolle, dass die Wähler Olaf Scholz das Kanzleramt eher als den Spitzenkandidaten der Union und der Grünen zutrauten.

Zu Annalena Baerbock (*1980) ist zu sagen, dass sie – wie Christian Lindner von der FDP – über keine Exekutiverfahrung verfügt. Als noch herauskam, dass ihr Lebenslauf geschönt war und ihr Kampagnenbuch (also keine Dissertation) Jetzt: Wie wir unser Land erneuern (Amazon.de) zum Teil von ungenannten Quellen abgeschrieben war, erhielt ihr Image einen Schlag, von dem sie sich nicht mehr erholte. Erstaunlicherweise spielte es in der Berichterstattung kaum eine Rolle, dass die in der DDR geborene junge Politikerin die westdeutsche Nachkriegsgeschichte offensichtlich nicht kennt. Sie ordnete die soziale Marktwirtschaft nicht der CDU von Konrad Adenauer und Ludwig Erhard zu. Von Wilhelm Röpke, Alfred Müller-Armack, Alexander Rüstow sowie von Ordoliberalismus und Freiburger Schule dürfte sie noch nie was gehört haben.

Hinzu kommt, dass viele – inbesondere ältere – Grüne aussen grün und innen rot sind. Deutschland ist bereits heute ein Land mit sehr hohen Steuern und Abgaben. Dennoch ist die Infrastruktur in schlechtem Zustand. Bei Brücken, Schulen und anderswo herrscht deutlicher Investitionsbedarf. Das viele Steuergeld wurde folglich über Jahrzehnte hinweg schlecht investiert. Sollte bei einer Ampelkoalition nicht viel Liberales drin sein, droht Deutschland noch weiter abzusteigen.

Insbesondere bei der SPD ist nicht klar, wohin die Reise gehen soll. Olaf Scholz und die Mehrheit der Parteibasis haben inhaltlich gegensätzliche Konzepte. Kevin Kühnert sowie Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken stehen nicht für den Aufbruch, den Deutschland braucht. Sie verstanden lediglich, dass nur Olaf Scholz beim Wähler punkten kann und die Geschlossenheit der Partei im Wahlkampf entscheidend ist. Die Konflikte wurden nicht ausgetragen.

Zudem tun sich bei Olaf Scholz ebenfalls viele – oben erwähnte – Fragen auf: CumEx, Wirecard, G20-Randale sowie Hartz IV. Bei den Reformen von Gerhard Schröder war Olaf Scholz, der einst vom linken Flügel kam, die rechte Hand des Reformkanzlers, der allerdings viele handwerkliche Fehler machte und in Deutschland den grössten Niedriglohnsektor Europas schuf – mit Konsequenzen für zukünftige Renten.

Auf dem linken Flügel von Rot und Grün wiederum sieht es ebenfalls düster für die Zukunft Deutschlands aus. Das Land Berlin hat am 26. September 2021 gezeigt, wohin die Reise gehen könnte: Nach dem Desaster mit dem Mietendeckel entschieden sich über 59% der Berliner Wähler für Enteignungen von grossen privaten Wohnungsunternehmen. Wie dadurch mehr Wohnraum und sinkende Mieten entstehen sollen, erschliesst sich niemandem mit einem Minimum an ökonomischen Kenntnissen.

Nach 16 Jahren mit Kanzlerin Merkel ist der Reformstau gross. Könnte eine Ampel Deutschlands Probleme lösen? Wo sind die Alternativen? Laschet ist ein CDU-Chef auf Abruf. Er konnte nicht einmal Fraktionschef der Union werden. Da soll er Jamaica-Verhandlungen führen? Querschüsse aus München wären sicher. Scheitert die Ampelkoalition, kommt dann Jamaica mit Söder an der Spitze? Gibt es am Ende gar wieder eine GroKo?

Im Moment sieht es nach einer Ampelkoalition unter Kanzler Olaf Scholz aus. Kann der Schlumpf Deutschland und Europa aus der Krise führen? Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Olaf Scholz bei der SPD Regionalkonferenz zur Wahl des SPD-Vorsitzes am 10. September 2019 in Nieder-Olm. Photo copyright © Olaf Kosinsky https://kosinsky.eu/

Artikel vom 4. Oktober 2021 um 11:17 deutscher Zeit. Korrigiert am 27. Oktober 2021: Laschet grinste nicht unpassend bei der Flutkatastrophe hinter Merkel, sondern hinter Bundespräsident Steinmeier stehend. Das macht es nicht besser.